Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
Bundespräsidenten, der uns am Berliner Flughafen abholte, hatte einen Babysitz im Auto. Unglaublich. Wie aufmerksam sie alle waren. Diesmal war allerdings keine Melanie dabei. Ich fand das nicht weiter bedauernswert.
Emil klappte zum hundertsten Male den Kinderwagen zusammen und verstaute die Habseligkeiten von Paulinchen im Kofferraum des Mercedes. Paul kam mit einer anderen Maschine an, aber der Fahrer hatte Order, auf ihn zu warten.
Emil und ich stiegen also mit dem Paulinchen hinten ein. Wir schnallten es gemeinsam an und friemelten an den fremden Gurten herum.
»Da, halt mal, hast du’s?«
»Jou!«
»Jetzt strammziehen. Vorsicht, nicht zu eng.«
»Der Verschluss ist auf deiner Seite.«
»Wo? Ach hier, warte mal, ich komm nicht dran …«
Emil griff zu mir rüber. »Ach, sorry.«
»O bitte, macht nichts.« Ich räusperte mich.
Komisch. Da war doch nichts dabei, dass er seine Hand aus Versehen auf meine Hand gelegt hatte. Wie oft hatten wir uns schon aus Versehen berührt. Wenn man gemeinsam ein Baby anschnallt oder abschnallt oder es anzieht oder auszieht oder in ein Handtuch wickelt oder in den Wagen legt oder mit dem Speituch ein Bäuerchen abwischt oder mit dem Öltuch die Kacke vom Ärschlein kratzt – wir hatten uns schon sehr oft berührt. Aber noch nie so wie jetzt. Noch nie mit einem elektrischen Funken.
Meine Güte. Und das jetzt. Auf dem Weg zum Bundespräsidenten. Und just in diesem Moment, als mein eigener Exmann telefonierend aus der Halle hetzte.
Ich zog die Hand weg. Wie elektrisiert. Als hätte ich auf eine Herdplatte gefasst.
Der Fahrer, der rauchend neben dem Auto gestanden hatte, hielt das Schild »Präsidialamt« hoch. Paul entdeckte ihn und riss den Wagenschlag auf.
»Hallo, Karla. Lange nicht gesehen!«
»Hallo, Paul. Gut siehst du aus. Das hier ist Emil aus Südafrika.«
»Oh. Spielen Sie ein Instrument?«
»Nein.«
»Schade, sonst hätte ich Sie gut brauchen können für mein Orchester. Hat Karla Ihnen erzählt, dass ich ein internationales Jugendorchester leite?«
»Jou.«
»Einen Musiker aus Südafrika haben wir noch nicht.«
»Hm.«
»Na, gesprächig ist der ja gerade nicht. Wie geht’s den Kinderchen?«
»Danke, gut.«
»Was macht deine neue Sendung?«
»Alles super. Ja, wirklich. Fünf bis sieben Millionen Einschaltquote.«
»Deine Entscheidung.« Paul krabbelte Paulinchen etwas am Halsspeck, dann warf er sich in seinem Sitz in Position und schnallte sich an.
»Das Orchester sitzt im Bus hinter uns«, sagte er zu dem Fahrer. »Bitte fahren Sie vor dem Bus her.«
Ich hatte ein furchtbar angenehmes Kribbeln im Bauch. Und zwar nicht wegen Paul. Auch nicht, weil ich vor ihm mit meiner Einschaltquote geprotzt hatte. Nein. Wegen Emil. Karla, wirst du denn nie erwachsen? Wie kannst du denn jetzt, kurz vor deinem vierzigsten Geburtstag, im Beisein deines Exgatten und in demütiger Erwartung von dessen Bundesverdienstkreuz, ein Kribbeln im Bauch haben, nur weil ein pickeliger Knabe aus Versehen deine Hand berührt hat?! Andere Gattinnen haben ein Kribbeln im Bauch, weil ihre Männer das Bundesverdienstkreuz kriegen! Boh, Mama, ey! Kann man dich denn nie allein lassen?!
Wir fuhren über die Stadtautobahn durch Berlin und am Kreisverkehr mit der goldenen Siegessäule vorbei, und dann waren wir da. Es ging über einen breiten Kiesweg bis direkt vor das Schloss Bellevue. Mehrere bewaffnete Uniformierte standen an verschiedenen Wachhäuschen. Sie lugten in unseren Wagen, erkannten anscheinend trotz der abgedunkelten Scheiben, dass wir nichts Böses im Schilde führten, und ließen uns passieren.
Natürlich kannte ich den Regierungs- und Wohnsitz des Bundespräsidenten. Aus dem Fernsehen, von Bildern, aus der Zeitung, von so mancher Stadtrundfahrt. Und natürlich von Hape Kerkeling, der als Königin Beatrix verkleidet »schön lecker Mittag essen« wollte. Jetzt würden wir selber schön lecker Mittag essen! Und niemand würde uns verscheuchen oder mit einem Knirps auf uns einschlagen. Wir waren persönlich geladene Gäste! Nicht irgendwelche Touristen, die interessiert nicken, wenn der Reiseführer ins Mikrofon des Busses spricht: »Der Bundespräsident ist anwesend. Das sieht man daran, dass die Fahne auf dem Dach gehisst ist.«
Nein. Der Bundespräsident ist anwesend. Das sieht man daran, dass uns sein Mercedes der S-Klasse bis vor seine persönliche Haustür fährt. Und daran, dass die livrierten Burschen mit dem Zylinder auf dem Kopf uns den Schlag aufreißen.
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