Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
Bellevue, der Sitz des Bundespräsidenten Roman Herzog.«
»Wat Se nich sagen«, gähnte ich lässig.
Die Leute auf dem Dampfer nickten beeindruckt und schauten auf die Fahne und knipsten das Schloss Bellevue.
»WER wohnt da?«, schrie ein schwerhöriger Opa seine Oma an.
»Der BUNDESPRÄSIDENT!«, schrie die Oma zurück.
»Kennich nich«, sagte der Opa verwirrt.
Emil schaute mich an. »Der Bondesprräsident«, bellte er leise.
Ich kicherte. Grinste er? Diese blöde Brille!
»Der Bundespräsident is anwesend, det sieht man daran, weil die Fahne oben is«, sagte der Spreeschipper.
»Det wissen wa, Mann.« Kinder nein, welch ein Hochgefühl. Da erzählte der UNS, dass der Bundespräsident anwesend war! Großartig. Wo der uns gerade eigenhändig mit handgeschabten Bubespätzle gefüttert hatte! Während Paulinchen ihm vor die Hemdbrust pupste!
»Der Bundespräsident ist anwesend, das sieht man daran, dass ich voll mit speckige Pfannekuche bin«, sagte Emil zufrieden. Damit schob er sich die Schirmkappe über das Gesicht und legte sich zu einem Mittagsschläfchen auf die Bank.
Zu Hause wartete der Alltag auf uns. Es war ein schöner Alltag. Karl lernte gerade Englisch. Eigentlich konnte Emil mit Karl Englisch üben, aber Karl wollte seine Mama. Und das verstand ich auch. Seine Englischlehrerin, Frau Langewellpott-Biermann, weigerte sich, mit den armen pubertierenden Elfjährigen auch nur ein Wort Deutsch zu sprechen! Und so quälte sich mein Ältester voller Unverständnis mit irgendwelchen Mistern und Misses herum, die Griffith hießen und Winterbottom und deren house dirty war und deren Store auch dirty war, und es war ihm anzumerken, er hasste dieses ganze Gesindel aus der London-Road, diese Kevins und Ronnys in ihren albernen School-Uniformen, mit denen er nichts gemein hatte. Im ganzen Buch aß niemand eine Lakritzschnecke! Ja, was gingen ihn diese Leute an! The dirty van von Mr. Grey, wo Jerry immer entweder on oder under war, der nutzlose Bengel, den hasste Karl besonders. Immer wieder ermunterte ich mein sprechfaules Kind, den dirty van doch mal zu cleanen, mit brush und sponge. Eimerweise schleppten wir water an, Kevin und Ronny und ich, aber das interessierte meinen Sohn nicht im Geringsten. Alle bescheuert, und keiner spricht deutsch.
Frau Langewellpott-Biermann – Verzeihung, MISSES Langewellpott-Biermann – verlangte, dass mein Sohn beschrieb, wo Jerry sich aufhielt, entweder ON oder IN oder UNDER the van, und nicht nur das! Zuerst sollte Karl die Frage stellen, ob denn Jerry under the van sei, und dann sollte er zur Antwort geben: »No, he isn’t. He is ON the van.« Oder: »No, they aren’t. They are IN the store.«
Dann übten wir Deutsch. Auch das war nicht meines Knaben Leidenschaft. Karl sollte einen Aufsatz schreiben über das Thema »Vor- und Nachteile, ein Einzelkind zu sein«.
Er schrieb:
»Die Voteile ein Elzelkind zu sein sind zum einen das der Burder oder die Schweter nicht sören wenn mann in ruhe Lakrizschneken essen will un geägat wird man auch nich. Taschengeld kriegt man mehr, da die Muter es nich aufteilen muss man muss seine Sachen auch nich teilen man kriegt mehr weil die Eltern nich teilen müssen man muss auch sein zimmer nich teiln die muter und Frau Prieß kümmern sich nur um mich un machen mir Follkorntooß und ich daaf fernsehn kuckn was ich will. Die Nachteile sin man hat Langeweile un muss alleine spieln.«
»Karl«, sagte ich besorgt. »Das wimmelt von Fehlern!«
»Na und, Mama! Das ist egal, hat Frau Grausamer gesagt!«
Die Deutschlehrerin hatte keinen Doppelnamen. Schade. Grausamer hätte man doch noch steigern können!
»Aber das ist ein Deutschaufsatz! Da kommt es doch auf die Rechtschreibung an!«
»Nein! Wir DÜRFEN nicht auf die Rechtschreibung achten, hat Frau Grausamer gesagt! NUR auf den AUFSATZ!«
Na gut, dachte ich. Ich misch mich da nicht ein.
»Und was hast du in Mathe auf?«
»Och, Mann, ey!«
Karl knallte mir sauer sein Mathebuch auf den Tisch.
Ich blätterte. Da stand: »Das längste Blaskonzert der Welt dauerte 103 Stunden. Der Rekord im Dauerduschen liegt bei 360 Stunden. Der Weltmeister im Dauersprechen hat 260 Stunden lang ununterbrochen geredet. Der Weltrekord im Rückwärtsfahren liegt bei 308 Minuten.«
Das alles würde meinem Karl nie passieren, dachte ich. Noch nicht mal, wenn man die Stunden auf sein ganzes Leben verteilte.
»Na?«, munterte ich mein lernunwilliges Kind auf. »Was sollst du wohl jetzt
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