Der Gentleman
zwischen Ärger und Freude und eigener Zärtlichkeit. Auf der einen Seite neigte er dazu, Lucia zu beschimpfen, auf der anderen, sie in die Arme zu nehmen. Aber das wäre für die ehrwürdige Tochter des Stadtdirektors und deren Freundin wohl endgültig zuviel gewesen.
»Zahlen!« rief Robert kurz entschlossen, beglich bei der netten Kellnerin mit den aufregenden Beinen die Zeche und schlug Lucia vor: »Gehen wir ein bißchen spazieren. Du kennst sicherlich schöne Wege hier in der Umgebung, die so richtig für uns beide geschaffen sind.«
Sie verließen das Café, gingen die Bismarckstraße hinunter und tauschten Bemerkungen aus über die schmucken Villen, die Robert stark an seine Kölner Behausung am Stadtwald erinnerten. Sie erreichten die Stadtgrenze, schwenkten nach links ab, gingen einen steilen Weg bergauf und kamen in einen lichten Hochwald, durch den ein breiter Weg in sanften Windungen führte.
Märchenhaft still war es hier. Die hohen Fichten reckten sich majestätisch, ihre Kronen rauschten im Wind, dem weichen Boden entströmte dick der Geruch nach Wald. Käfer krabbelten auf dem Weg, und Robert und Lucia stiegen über sie hinweg, um sie nicht zu zertreten. Irgendwo flatterte ein Vogel, bewegte sich unsichtbar ein Tier in einem Wipfel, vermutlich ein Eichkätzchen, und raschelte eine Maus im trockenen Laub am Boden des Unterholzes.
Sorant blieb stehen und atmete tief die Luft ein.
»Köstlich«, sagte er. »Nach all dem Staub und Gestank der Großstadt diese reine Natur! Man spürt es direkt, wie sich die Lunge bis in die äußersten Spitzen und Winkel reinigt.«
»Aber all dies hier ist für Verliebte auch gefährlich, die Luft, der Wald, die Abgeschiedenheit …«
»Du meinst wohl hauptsächlich die Abgeschiedenheit«, fiel er ein, »das Dickicht, in dem Verliebte verschwinden können.«
»Nun, das soll ja schon vorgekommen sein – oder nicht?«
Lucia spielte schon wieder mit dem Feuer.
Und Robert?
Robert auch. Er küßte sie. Wenn er ehrlich war, mußte er zugeben, daß er im ganzen letzten halben Jahr nicht soviel geküßt hatte wie allein gestern und heute.
Als den beiden der Atem knapp zu werden drohte, entwand sich Lucia seinen Armen, wobei sie durchaus glaubwürdig feststellte: »Wenn wir uns bei jedem Schritt küssen, kommen wir nicht vom Fleck.«
»Na und?« meinte er und griff wieder nach ihr, um sie an sich zu ziehen.
Doch sie entwich ihm und lief einige Schritte voraus. Er folgte ihr, traf aber keine Anstalten, sie zu jagen, sondern ging langsam und gemächlich. Zu allem anderen fühlte er sich viel zu faul. Außerdem wußte er ganz genau, daß Lucia nicht daran dachte, ihm wirklich zu entfliehen. Sie würde ihm schon erhalten bleiben.
»Verdammt!« fluchte er, als er über eine dicke Baumwurzel, die sich über den Weg erstreckte, stolperte.
Lucia forderte ihn dazu auf, die Augen aufzumachen. Sie war zehn Meter vor ihm und hörte ihn räsonieren.
»Machen wir kehrt«, schlug er ihr vor.
»Nein«, widersprach sie. »Komm nur, ich will dir noch etwas Schönes zeigen.«
Nicht sehr begeistert trottete er weiter. Hätte er dies aber nicht getan, wäre ihm wahrhaftig etwas sehr Schönes entgangen.
Nach wenigen Minuten drangen sie in einen lichten Laubwald ein, gingen einen sich windenden Pfad entlang und kamen oberhalb eines Bahndammes ins Freie. Im Rücken hatten sie die hohen Buchen und Eichen, vor sich Wiesen, eine Chaussee und einen sich schlängelnden Wasserlauf, der in der Ferne in einen großen Stausee einmündete und ihn nährte. Am anderen Ufer aber, auf dem Kamm einer dichtbewaldeten Hügelkette, ragten die Türme einer alten Trutzburg empor. Mächtig und viereckig drohte der Wachtturm, schmale, zierliche Erker zogen sich an den Seitenmauern hin. Am Fuß der Burg entsprang eine Quelle und ließ das Wasser in weiten Kaskaden ins Tal springen.
Sorant blieb überwältigt stehen.
»Schön«, sagte er mit entzückter Miene. »Wunderschön.«
»Die Burg Trausberg«, erklärte Lucia. »Der Stolz Altenbachs.«
Verheißungsvoll fügte sie hinzu: »Oben im Hof der Vorburg ist auch ein Café.«
»Nichts wie hin!« rief Robert.
Überraschend und grausam wurde er jedoch enttäuscht. Eine Bank stand am Wege. Auf diese zeigte Lucia und sagte: »Kaffee und Kuchen kommen später an die Reihe. Erst wird hier gearbeitet.«
»Wie bitte?«
Lucia nahm ihn an der Hand, führte ihn, da er momentan willenlos war, zur Bank, drückte ihn auf diese nieder und fragte ihn dann: »Sitzt
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