Der Gentleman
Rasenmäher rechtzeitig geweckt. Ich konnte mir ein paar belegte Brote einverleiben.«
»Das tat mein Wecker nicht«, sagte Robert seufzend, woraufhin ihm Lucia den Rat gab: »Du mußt ihn nächstes Mal früher einstellen.«
Ein zweiter Seufzer, ein noch tieferer, war die aufschlußreiche Antwort Roberts.
Die beiden schwankten, wohin sie sich wenden sollten: zum Café im Hof der Vorburg oder zu den Fleischtöpfen innerhalb der Mauern der ›Post‹.
»Wieviel Uhr haben wir denn?« fragte Robert, einen Blick auf seine eigene Armbanduhr werfend. »Gleich fünf. Ab sechs serviert der Eisner das Abendessen. Ich denke …«
Er brach ab. Es war auch gar nicht notwendig, daß er das, was er dachte, noch bekanntgab. Lucia wußte auch so Bescheid.
»Gehen wir«, sagte sie, den Weg in Richtung Altenbach einschlagend. »Die Burg beehren wir ein andermal.«
Sie schob ihren Arm unter den Roberts und sah zu, mit ihrem mächtig ausgreifenden, vom Hunger getriebenen Freund Schritt zu halten. So liefen sie denn Arm in Arm bis zum Hotel.
Mochte Altenbach kopfstehen, mochten sich die Leute die Mäuler zerreißen, mochte jemand nach Köln schreiben …
Verdammt … Köln!
Gerti!
Nein, die durfte nichts erfahren, sonst gab's in seinem Haus Kleinholz. Also Vorsicht, lieber Robert, sagte er sich selbst. Trotzdem aber ging er bis zur ›Post‹ mit Lucia eingehängt.
Vor dem Eingang reichte sie ihm die Hand. Der Aquamarinring blitzte. Am liebsten hätte Sorant den Finger, an dem sich dieser Ring befand, geküßt. Aber die Leute, die Leute …!
»Wann darf ich zu dir kommen?« fragte er.
»Morgen vormittag um zehn.«
»Da schlafe ich noch.«
»Dann um elf.«
»Der Vormittag ist überhaupt schlecht, da kann ich nicht arbeiten. Die besten Gedanken und Einfälle kommen mir abends. Ich bin der typische Nachtarbeiter …«
Lucia entgegnete nichts.
Robert hielt noch immer ihre Hand fest.
»Also, wie wär's mit heute abend, Lucia?«
»Nein.«
»Wegen der Nachbarn?«
»Auch wegen der Nachbarn, ja.«
»Wegen was noch?«
»Weil ich mir selbst auch noch eine Kleinigkeit schuldig bin.«
Robert blickte sie an wie ein bettelnder Dackel.
»Lucia, bitte …«
»Nein.«
»Lucia …«
Der Dackelblick wurde unwiderstehlich. Dazu sagte Robert: »Vergißt du den Frühling, den Mai? Der Mai ist mein Monat.«
Noch kämpfte Lucia mit sich.
»Wieso dein Monat? Was heißt das?«
»Ich bin im Mai geboren, am 28. Sternzeichen: Zwilling. Temperament: sanquinisch. Konstellation: künstlerisch begabt, charmant, zuvorkommend, freigebig, redegewandt …«
Lucia unterbrach ihn lachend: »Letzteres bestimmt. Wann willst du denn kommen?«
Sorant stieß einen kleinen Juchzer aus, der drei Leuten in der Nähe nicht entging. Sie prägten ihn ihrem Gedächtnis ein. Einer der drei, dem die Sittlichkeit noch das höchste aller Güter war, sprach innerlich von einem ›Brunftlaut‹.
»Gegen neun Uhr«, antwortete Robert. »Einverstanden?«
»Aber komm ohne dein ›Röslein auf der Heiden‹, ich bitte dich. Einmal kurz klingeln genügt, ich werde noch schnell ein paar Waffeln backen.«
»Fantastisch!« jubilierte er.
Die Turmuhr schlug dreimal.
»Viertel vor sechs«, sagte Lucia. »Höchste Zeit für dich. Grüß mir Herrn Eisner.«
Sie schüttelten sich die Hände, und Robert eilte ins Hotel. Am Eingang schon wehte ihm der Duft eines Sauerbratens entgegen. Sauerbraten war seine Leibspeise, und so fühlte er sich denn schlagartig so richtig geborgen.
An diesem Abend ereignete sich noch mancherlei.
Zuerst einmal suchte Sorant nach vollzogenem Abendessen sein Zimmer auf, setzte sich an den runden Tisch, kippte drei Wacholder, die er sich bringen ließ, und schrieb sodann, nachdem ihn die Wacholder in Schwung gebracht hatten, zwei Briefe: einen an Gerti, seine Frau; einen an seine Freunde Karl und Rolf.
Im ersten stand, daß er sich ohne die Adressatin schrecklich langweile, daß die Luft klar, der Ort schön, das Wasser sauber sei, daß er sich erhole, viel spazieren gehe, gut esse, im übrigen faulenze und sein Frauchen vermisse. Er bat um Übersendung seiner Badehose und dreier Rollfilme für die Kleinbildkamera – Marke Leica – und sandte zuletzt viele Küsse und tausend Gedanken.
Im zweiten Brief stand von alledem nichts, sondern er war kurz und bündig und lautete:
›Ihr zwei Strolche – dieses Schreiben soll Euch gemeinsam erreichen, in Karls Kanzlei. Ich habe nämlich keine Zeit, mir für Euch immer die doppelte Arbeit zu
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