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Der Gentleman

Der Gentleman

Titel: Der Gentleman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hundsgemeine Angst, und zwar, als ich im Abitur eine Wurzelgleichung errechnen sollte und trigonometrische Zeichnungen. Ich habe dann auch eine saftige Fünf bekommen.«
    Er lachte und stand auf.
    »Schon halb sieben. Wie die Zeit rast. Sag mal, haben wir heute nicht Freitag?«
    »Ja, Freitag.«
    »Mein Gott!« Sorant wurde plötzlich sehr lebendig. »Freitag! Da gibt's ja in der ›Post‹ Erbsensuppe!«
    Er stürzte zu seinem Jackett an der Garderobe, drückte Lucia, die ihm gefolgt war, einen Kuß auf die lachenden Lippen, sprang die Treppe hinunter auf die Straße und eilte seinem Hotel zu.
    Als er im Speisesaal eingetroffen war, hatte er das große Glück, die letzte Terrine serviert zu bekommen. Nach dem Essen zog er sich bald auf sein Zimmer zurück, und nachts schlief er zum erstenmal, seit er in Altenbach weilte, fest; nur war es ihm, als seien lauter Wolken um ihn, die ihn schwerelos trugen, hinauftrugen in unendliche Fernen …
    So vergingen weitere vier Tage, bis jener Mittwoch kam, der für Lucia und Robert eine bleibende Bedeutung erlangen sollte.
    An diesem Tag, der die Fertigstellung des Probebühnenbildes bringen sollte, zeigte ihm Lucia eine Reihe eigener Aquarelle, nette, luftige Arbeiten: Wiesenklee, Akelei und Wiesenschaumkraut, einen Gipskopf, der Dionysos in seligem Weinlächeln zeigte, und eine Menge Schriftbilder in gotischer Schrift, in Antiqua, Fraktur, Unziale und englischer Laufschrift.
    Während Sorant die einzelnen Blätter durchsah und sich über die Schriftproben köstlich amüsierte, weil in ihr, als Akademieaufgabe, Wörter in ungewollt humoristischer Folge zusammengestellt waren, pinselte Lucia an schwierigen Felsen, die unbedingt in einem hellen Sonnenglanz liegen mußten.
    »Reizend«, neckte Sorant sie und schwenkte ein Blatt. »Wer hat euch diesen sinnlichen Satz diktiert?«
    Lucia blickte auf.
    »Welchen Satz?«
    Sorant las vor: »Als die Griechen, Griechen, fern dem bräutlichen Gemach, Penelope kam, Freier lagen, lagen, spannt Penelope feurig, feurig den Köcher …« Sorant hielt inne. »Es ist wirklich allerhand, wenn jemand einen Köcher spannt.«
    Lucia lachte.
    »Was verstehst du schon davon? Es kommt bei diesen Übungsarbeiten nicht auf den Sinn, sondern auf die Schrift an.«
    Robert wollte das nicht einsehen; man könne auch schöne Schrift zeichnen mit Sinn, meinte er. Aber Lucia lachte ihn aus und malte weiter.
    »Gefällt dir das Bild?« fragte sie und hielt das Reißbrett hoch.
    »Sehr. Nur die Schatten sind etwas fahl. Ich würde ein stärkeres Blau für den Kontrast zum weißen Tempel nehmen«, meinte er. Dann kam er wieder auf die Schrift zurück. »Hier steht Rhythmus ohne th, und dort hast du Alemanne mit einem n geschrieben.«
    »Mein Gott – das Schriftbild ist maßgebend! Wenn du angestrengt einen Schriftsatz malst, unterschlägst du leicht einen Buchstaben, sogar ein Wort, weil du nicht den Sinn bedenkst, sondern nur Augen und Gefühl für die Form des Buchstabens hast. – Aber was verstehst du alter Komponist davon?«
    Robert Sorant entgegnete nichts. Er blätterte weiter herum, bewunderte einen Einbandentwurf zu einem Buch mit den Titel ›Seemann ohne Schiff‹ und freute sich über einige angedeutete Hand- und Aktstudien.
    Wirklich, das Mädel konnte etwas. Man mußte sie nur aus ihrer Reserve locken, mußte ihr die Augen öffnen für die Welt. Vielleicht fehlte ihr lediglich das große Erlebnis, jener Anstoß der Seele, der von außen kommt und schon oft einen Künstler zur Reife führte. Noch waren alle diese Entwürfe und Bilder verhaftet im Gutbürgerlichen; sie flossen gemächlich dahin und hatten noch nicht die reißende Strömung des explosiven Künstlertums. Die Anlage dazu war aber nicht zu übersehen. Man spürte einen Drang zum Licht, der trotz aller Umwelt so grenzenlos einsam war, so zäh und gläubig, daß Robert Sorant dieses Mädchen im stillen bewundern mußte.
    Wie mußte sie innerlich zerissen sein vom Kampf zwischen Drang und Pflicht, Gefühl und Vernunft. Und wie stark mußte sie sein, weil sie diesen Kampf noch nicht verloren hatte.
    Robert wühlte in den Zeichnungen und stieß auf einen großen Bogen. Eine blaugoldene Initiale begann den wundervoll gegliederten und geschriebenen Schriftsatz. Rosen verzierten die Ränder, und schwungvolle Linien belebten das Bild – ein Meisterwerk der Grafik.
    »Was ist das für eine Arbeit?« fragte er sie und hielt ihr den Bogen hin.
    Lucia bemalte gerade den Tempelfries mit einem kleinen,

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