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Der Gentleman

Der Gentleman

Titel: Der Gentleman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sich heiß und feucht anfühlte.
    »Siebenunddreißigsechs ist noch nicht schlimm«, sagte er. »Hast du sonst noch Beschwerden?«
    Sie nickte und schluckte mühsam.
    »Im Hals. Ich kann kaum schlucken.«
    Robert beugte sich über sie.
    »Mach den Mund auf.«
    »Steck dich nicht an«, mahnte sie ihn.
    »Mach den Mund auf!«
    Sie tat es, und Robert blickte ihr tief in den Rachen.
    »Sag aaahhh.«
    »Aaahhh.«
    »Noch einmal.«
    »Aaahhh.«
    Er konnte nichts entdeckten, aber er war ja auch kein Arzt. Besorgt und unschlüssig sah er sie an, bis sein Blick auch wieder die Teekanne streifte.
    »Ich koche dir frischen Tee«, sagte er, sich von der Bettkante lösend.
    »Bitte nicht!« stieß Lucia spontan hervor.
    »Warum nicht?«
    Der Schreck, den ihr Roberts Kochkünste bisher eingejagt hatten, saß ihr so tief in den Knochen, daß sie ihm nicht einmal zutraute, Wasser heißmachen zu können.
    »Es ist ja noch genug Tee in der Kanne«, sagte sie.
    »Aber er ist kalt.«
    »Das schadet bei Angina überhaupt nichts.«
    »Wer sagt das?«
    »Der Arzt.«
    »Wirklich?«
    »Er empfiehlt sogar, Eis zu essen.«
    »Wer ist dein Hausarzt?«
    »Dr. Faber. Warum?«
    »Wo ist das Telefonbuch?«
    »Warum?«
    »Weil ich ihn anrufen und fragen werde, ob das stimmt. Außerdem muß er ohnehin gebeten werden, dir einen Besuch abzustatten.«
    »Ist schon gebeten worden. Er hat sich im Lauf des Vormittags angesagt«, log Lucia. »Deshalb möchte ich dich auch bitten, daß du wieder gehst. Deine Anwesenheit könnte ihn irritieren. Er weiß doch, daß ich alleinstehend bin.«
    In Wirklichkeit kam es Lucia darauf an, für die Zeit ihrer akutesten Erkrankung Robert aus der Wohnung zu entfernen, damit er sich nicht auch ansteckte.
    »Ich lasse dich ungern allein«, erklärte Robert besorgt.
    »Ich bin doch nicht sterbenskrank, Heinz.«
    »Aber du könntest das eine oder andere brauchen und müßtest dann aufstehen, um es dir ans Bett zu holen. Dabei erkältest du dich noch mehr.«
    »Nichts brauche ich, bis der Arzt kommt. Mach dir keine Sorgen, geh ruhig.«
    »Soll ich dir nicht wenigstens doch noch frischen Tee kochen?«
    »Bitte, nein.«
    »Wann sehe ich dich wieder?«
    »Morgen.«
    »Morgen erst?«
    »Ich bin erschöpft, Heinz. Ich möchte auch erst einmal die zwölf Stunden, die du mir zugestanden hast, durchschlafen. In der vergangenen Nacht war es damit ja nichts.«
    »Aber morgen komme ich dann schon früh.«
    »Gut.«
    Er traf Anstalten, sich über sie zu beugen und auf die Stirn zu küssen, aber sie wehrte ihn ab.
    »Wir haben beide nichts davon, wenn du auch noch krank wirst«, sagte sie.
    Als er endlich verschwunden war, zögerte Lucia nicht, aus dem Bett zu steigen, zum Fenster zu gehen und durch die Gardine auf die Straße zu blicken.
    Dort unten ging Robert Sorant. Ziemlich langsam, ziemlich unlustig, schrecklich gelangweilt. Er wußte nicht, was er mit sich beginnen sollte.
    Lucia trat vom Fenster zurück und blickte unschlüssig aufs Bett. Sie fragte sich, ob sie noch einmal in dasselbe zurückkehren sollte. Der Hals, fand sie, tat im Liegen noch weher – also blieb sie auf. Sie trödelte eine Weile herum, der Gedanke an Robert alias Heinz, wie sie ihn nannte, verließ sie nicht. Sie wickelte sich einen Wollschal um den Hals und ging in ihr kleines Atelier. Dort begann sie mit der Anfertigung eines Porträts von Robert Sorant.
    Die Zeit verflog. Es wurde rasch Mittag. Lucia merkte es nicht. Sie zeichnete, fuhr mit dem Wischer über die Kohle und trat immer wieder zurück, die Wirkung des Bildes prüfend. Sie war losgelöst von aller Umwelt, spürte keine Müdigkeit, keinen Schmerz, keinen Hunger. Sie war jetzt Schöpferin, aufgegangen in der Kunst, geleitet von ihrem liebenden Herzen.
    Währenddessen kletterte Robert Sorant in den Altenbacher Hügeln herum. Er hatte sich auf die Suche begeben. Er wollte in diesen Hügeln irgendwo ein Plätzchen entdecken, das abseits aller Wanderwege und allen Verkehrs lag, ein Plätzchen völliger Ruhe und Einsamkeit. Es drängte ihn, einmal allein seinen malträtierten Großstadtkörper auszulüften und die Glieder zu strecken, so richtig auszustrecken und dabei sagen zu können: »Sonne, nun heile mich.«
    Dazu muß man aber nackt sein.
    Nacktsein setzt normalerweise Alleinsein voraus.
    Und dieses Alleinsein wurde jetzt von Robert Sorant angestrebt.
    Er lief durch Hochwälder, wanderte über Kuppeln und Kämme, durchquerte Schluchten, und wenn er dachte, der rechte Ort sei gefunden, tauchte ein

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