Der Gentleman
die Socken, verlieren wir nicht noch länger Zeit!«
Aber ganz so schnell ging das nicht. Lucia, mit ihrem praktischen Frauensinn, erzwang noch einmal eine Verzögerung.
»Halt«, sagte sie, »wir brauchen Decken. Ich muß sie erst suchen.«
»Wozu brauchen wir Decken?«
»Ich lege mich nicht nackt ins Gras, um zum Opfer ganzer Scharen von wilden Tieren zu werden.«
»Wilden Tieren?« echote er grinsend.
»Lachst du mich aus?« fragte sie ihn streitlustig.
»Die letzten Bären und Wölfe wurden in Deutschland schon vor langer Zeit erlegt.«
»Es gibt noch andere Bestien, mein Lieber.«
»Welche?«
»Rote Ameisen.«
»Das ist wahr«, lachte er. »Dann will ich mich also mit deinen Decken einverstanden erklären.«
Mit seinem fröhlichen Lachen gefiel er ihr wieder einmal ganz besonders gut. Sie betrachtete ihn, fiel ihm plötzlich um den Hals und sagte: »Was bist du doch für ein merkwürdiger Mann, Heinz.«
»Ich?«
»Du unterscheidest dich von den anderen.«
»Wieso?«
»Die meisten sehen in einem Mädchen nur eine Beute, hinter der sie her sind. Wenn die Blicke von denen an mir herabgleiten, werde ich rot. Bei dir würde ich nicht rot, aber deine Blicke gleiten nicht an mir herab.«
»Täusch dich nicht.«
»Wann denn?«
»Vorhin z. B. – du hast es nur nicht gemerkt.«
Sie spielte mit ihren Fingern in seinen Haaren, zupfte daran herum, küßte ihn auf beide Wangen, auf den Mund, fuhr ihm mit den Zeigefingerspitzen zart in beide Ohren, was ihn erschauern ließ, und sagte leise: »Du bist raffiniert, nicht?«
»Ich?«
»Du schiebst es immer wieder hinaus?«
Er drückte sie ein bißchen weg von sich. Gerti war ihm eingefallen.
»Lucia, wir –«
»Sag nichts, Liebling.«
Er gehorchte ihrer Bitte oder ihrem Befehl – was es auch sein mochte. Er schwieg.
»Raffiniert bist du«, begann sie wieder. »Dabei sieht man dir das gar nicht an. Als ich dich zum erstenmal im Hotel sah, fragte ich mich: Was mag das für ein komischer Heini sein?«
»Erlaube mal – Heini?«
»Aber als du mich dann mit deinem Hustenanfall an der Nase herumgeführt hast, hätte ich mir schon sagen müssen, daß du ausgekocht bist, und kein Heini.«
Robert feixte.
»Der Hustenanfall war also eine gute Idee?«
Lucia zupfte ihn an der Nase.
»Wenn sie von dir gewesen wäre – ja.«
»Wenn was von mir gewesen wäre?«
»Die Idee.«
»Und die war nicht von mir, meinst du?«
»Nein, ich weiß es.«
»Was weißt du?«
»Daß du sie gestohlen hattest, du Filou.«
»Gestohlen? Von wem?«
»Soll ich dir das sagen?«
»Ja.«
»Von Robert Sorant.«
Er war baff.
»So?« stieß er nur hervor.
»Ja«, feixte nun sie. »Ich kenne das Bühnenstück von Sorant, das dir als Vorlage gedient hat.«
»Wie heißt es?«
»›Durch dick und dünn‹.«
»Hast du es gesehen?«
»In Bochum. Ich habe mich köstlich amüsiert, mich schiefgelacht. Ein typisches Sorant-Lustspiel, voller Geist, Charme, Temperament, Besinnlichkeit und tieferer Bedeutung.«
»So?« meinte Robert wieder kurz.
»Wo hast du es gesehen?«
»Auch in Bochum.«
»Was hältst du davon?«
Robert wiegte den Kopf.
»Es geht«, sagte er dabei. »Jedenfalls war es ein Erfolg. Es gibt bessere Stücke, aber mit diesem muß der Bursche ganz schön Geld verdient haben.«
Lucia blickte ihn strafend an.
»Heinz, du sollst den nicht einen Burschen nennen. Das ist eine Respektlosigkeit, eine Herabsetzung. Wünsche du dir seinen Bühnenerfolg in der Musik, und ich wäre glücklich …«
»Ich auch«, fiel Robert aus tiefster Überzeugung ein. »Ich bin auf meinem Gebiet – dem der Musik – in letzter Zeit überhaupt schrecklich unproduktiv.«
»Vielleicht fehlt dir der nötige Anstoß, ein tiefgreifendes Erlebnis?«
Robert nickte, obwohl er davon überzeugt war, daß er gegenwärtig von keinem tiefgreifenderen Erlebnis hätte in Anspruch genommen werden können, als von seiner Affäre mit Lucia.
»Das wird es sein«, sagte er, nahm sie an beiden Schultern, rüttelte sie zärtlich und setzte hinzu: »Hol jetzt endlich deine Decken. Wir geraten immer wieder ins Schwätzen.«
»Ich muß die erst suchen, sagte ich dir schon. Das kann ein Weilchen dauern.«
»Weißt du was, mein Schatz?«
»Was?«
»Such sie, und ich gehe in der Zwischenzeit schon bei der Drogerie vorbei. Wenn ich zurück bin, läute ich dann nur noch unten an der Haustür zweimal, und du kommst runter. Einverstanden?«
»Einverstanden. Gute Idee«, nickte sie.
»Garantiert diesmal
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