Der Gentleman
nicht aus ›Dick und dünn‹«, lachte er und hob dabei den Zeigefinger, um seine Worte zu unterstreichen.
Nach einem nicht ganz unbeschwerlichen, im flotten Schritt zurückgelegten Marsch langten Robert und Lucia beim Sonnenfleck an. Die Luft flimmerte, so daß die von Robert angekündigte Aussicht nicht gar so weit reichte. Trotzdem war aber Lucia von der Schönheit des Platzes entzückt, sie atmete tief ein und streckte die Arme weit vom Körper.
»Wundervoll ist es hier«, sagte sie. »Wirklich herrlich. Du hast nicht zuviel versprochen.«
Sorant warf sich stolz in die Brust.
»Ist ja auch meine Entdeckung. Mein Sonnenfleck. Auf den waren die Babylonier bestimmt noch nicht gestoßen.«
Lucia lachte und gab Robert einen Kuß auf die Nase.
»Du Witzbold.« Dann verstummte sie, dachte an das, was nun kommen mußte, und sah sich nach allen Seiten um.
»Sind wir hier auch ganz bestimmt allein?«
»Ganz bestimmt.«
»Und wenn uns trotzdem jemand überrascht?«
»Du kannst dich darauf verlassen, daß das nicht der Fall sein wird.«
»Dann fange ich an …«
Lucia öffnete zaghaft den obersten Knopf ihres Kleides, hielt beim zweiten inne. Sie schien es sich wieder anders überlegen zu wollen.
»Erst du«, sagte sie.
Ihr ›Theater‹, wie er es innerlich nannte, amüsierte ihn.
»Erst ich«, nickte er, war bemüht, ein verschämtes Gesicht zu zeigen, und zwang sich, die Jacke auszuziehen, dann das Oberhemd, die Hose, Schuhe und Socken.
Eine Pause wurde eingelegt. In Unterwäsche stand er nun da. Der Anblick, den ein Mann so bietet, ist bekanntlich nicht zu vergleichen mit dem einer Frau. Trotzdem riskiert ihn das starke Geschlecht immer wieder, statt ihn, wenn eine Dame gezwungen ist, zuzusehen, zeitlich und räumlich auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Auch Robert machte wieder den Fehler, keine Eile an den Tag zu legen.
»Nun du«, sagte er zu Lucia.
Ihr taten die Augen weh.
»Du bist noch nicht fertig«, antwortete sie.
»Aber fast.«
»›Fast‹ kann sehr wenig und sehr viel bedeuten.«
»Was bedeutet es im Moment?«
»Viel.«
Immer noch kapierte Robert nicht.
»Ich könnte mir vorstellen«, sagte er, »daß du Schwierigkeiten hast, dir dein Kleid über den Kopf zu ziehen. Soll ich Hilfe leisten?«
»Danke, nicht nötig. Du könntest auf die Idee kommen, von mir eine Gegenleistung zu verlangen.«
»Welche Gegenleistung?«
»Dir beim Ausziehen deiner Unterhose zu helfen.«
Das rief natürlich ein Grinsen bei Robert hervor.
»Keine schlechte Idee«, meinte er.
Lucia wandte sich ab, dabei sagte sie: »Ich zähle bis drei. Wenn du dann noch nicht fertig bist, blase ich für meinen Teil das ganze Unternehmen ab und lege mir zwei Ahornblätter auf die Augen, um nicht länger dem Anblick, den du momentan bietest, ausgesetzt zu sein. – Eins – zwei – drei …«
Langsam drehte sie sich wieder um. Robert lag im Gras, nackt, wie Gott ihn erschaffen hatte. Endlich hatte er begriffen und gezeigt, daß er auch sehr fix sein konnte.
»Nimm die Decke«, sagte Lucia.
Nachdem sie so ihrer Sorge Ausdruck verliehen hatte, erwachte ihr künstlerisches Interesse.
Robert besaß einen schlanken, aber muskulösen Körper. Schultern und Brustkorb waren breit, die Hüften schmal, die Oberschenkel kräftig, die Wadenmuskel sehnig, die Füße mittelgroß. Die Proportionen stimmten. Robert Sorant hatte das, was man bei Männern viel seltener als bei Frauen eine ›gute Figur‹ nennt. (Von Männern sagt man im allgemeinen nicht, daß sie eine gute Figur haben, sondern eine ›machen‹; das bedeutet etwas ganz anderes.)
Lucia hatte auf der Kunstakademie lange genug Aktzeichnen gehabt, um sich ein Urteil über den Körper eines Mannes bilden zu können.
»Heinz«, sagte sie.
»Hm?«
»Du bist gut gebaut.«
Er hielt die Augen vor der gleißenden Sonne geschlossen.
»Findest du?« entgegnete er.
»Ist dir das Schönheitsmaß von Michelangelo bekannt?«
»Nein.«
»Der Kopf, hat er gesagt, müßte siebenmal in den Rumpf passen.«
»Und das ist bei mir der Fall, meinst du?«
»Ja.«
»Ich hoffe, daß er klein genug ist, um diesem Erfordernis zu entsprechen.«
»Wer?«
»Mein Kopf.«
Dazu grinste Robert, nunmehr mit offenen Augen. Lucia stand immer noch, zugeknöpft fast bis zum Hals, auf der kleinen Lichtung.
»Lästere nicht«, sagte sie. »Sei froh über deine Maße. Sie sind wirklich gut.«
»Ich hoffe, dasselbe in absehbarer Zeit auch von dir feststellen zu können.«
»Heißt das, daß
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