Der Geruch von Blut Thriller
redet weiter. Der Verhandlungsführer ruft von unten hoch, dass sie aufhören soll, aber sie redet immer noch weiter.
Das Baby weint. Der Vater weint. Die Mutter ist tot. Ray ist wieder auf den Beinen und sieht zu euch rüber. Der Abgrund naht und kommt immer näher. Der Vater reibt sich das nasse Gesicht an der Decke, in die das Neugeborene gewickelt ist, zieht die Nase hoch und riecht den Geruch seines Kindes. Offenbar riecht er auch seine Frau, denn in seinen Augen steht jetzt noch tiefere Verzweiflung. Du kommst ganz langsam näher. Er kommt näher. Das Baby japst nach Luft.
Das ist das Ende, und du weißt es. Dieser Moment wird dein Schicksal in eine Richtung lenken, in die du nie hattest gehen wollen, und doch konntest du nicht anders handeln.
Du streckst die Hände aus, um das Baby zu nehmen, und genau in dem Augenblick, als du die Decke berührst, verzieht der Vater das Gesicht und schreit wie ein Wahnsinniger. Er war in dem Augenblick tot, als er das Dach betrat, die Frage war nur, ob er das Kind mit sich nehmen würde.
Er versucht es.
Der Rand ist keinen halben Meter breit. Du fuchtelst mit den Händen und versuchst, nach dem Baby zu greifen, aber es ist zwecklos. Der Mann hat es wie einen Fußball unter den Arm geklemmt und gerät ins Straucheln. Er packt dich am Hemd. Seine Faust schließt sich um den Stoff. Es reißt dich von den Füßen. Der Himmel leuchtet blau, sowohl unter dir als auch über dir.
Dir bleibt eine halbe Sekunde, um über deinen Nachruf nachzudenken. Wenn du tot bist, bist du ein Held. Die Schlagzeilen werden dir wohlgesinnt sein. Die hübschen Nachrichtensprecher werden traurige Gesichter machen. Sie sind meistens nett zu den Toten.
Aber im Umkleideraum, in den internen Mitteilungen, da werden sie dich runtermachen, und den Rekruten wirst du die nächsten zehn Jahre als negatives Beispiel dienen.
Du verlagerst dein Gewicht und versuchst immer noch, das Kind zu packen. Dir bleibt nichts anderes übrig. Du denkst: Wenigstens kann ich das Baby auf dem Weg nach unten festhalten. Das ist nicht unbedingt tröstlich, aber immerhin etwas.
Plötzlich hast du Blut in den Augen.
Der Vater, dem das halbe Gesicht fehlt, legt den Kopf zur Seite, sein Gehirn schießt heraus und schwappt ihm übers Ohr.
Er will etwas sagen, vielleicht einen Namen. Seinen eigenen, den seiner Frau oder seines Kindes, falls es schon einen hat. Aber dann wird seine Zunge einfach schlaff und leblos wie der ganze Körper.
Du reißt das Kind an dich.
Der Mann taumelt, kippt nach hinten, fällt. Als er unten auf den Asphalt schlägt, spritzt es in alle Richtungen. Die Hose des Verhandlungsführers wird nie wieder so aussehen wie vorher.
Ray steht da und sieht dich an, die Waffe in der ausgestreckten Hand, als könnte er nochmal abdrücken. Ihr seht euch in die Augen. Er lacht leise vor sich hin, als könne er das alles nicht glauben. Sein Charme läuft auf Hochtouren. Du denkst daran, wie leicht Rays Schuss stattdessen dir den Kopf hätte abreißen können. Du bedankst dich, dass er dir das Leben gerettet hat, und würdest ihm danach am liebsten den Kiefer zertrümmern.
Er gibt das Zeichen zur Entwarnung. Du trägst das Kind nach unten und bekommst erst mal den Marsch geblasen, von deinem Sergeant, deinem Leutnant, dem Captain und dem Commissioner. Nachdem sie dich angebrüllt haben, lassen sie dich durch, weil sie es müssen.
Es gibt eine Unmenge Fotos und kilometerweise Videomaterial von der Szene. Ray und du seid Helden. Du bekommst Auszeichnungen. Ihr bekommt beide Medaillen. Das elternlose Neugeborene wird von einer alten Jungfer aus Brooklyn abgeholt, die keine Ahnung hat,
was man mit einem Baby anstellt. Auf den Pressefotos sieht sie aus, als müsse sie sich übergeben.
Dani steht neben dir, den Arm um deine Hüfte gelegt, und lächelt in die Kameras, so dass du dich zwischen Stolz und Scham zerrissen fühlst. Der Bürgermeister beugt sich dauernd zu ihr rüber und hält seine Lippen an ihr Ohr, mal flüsternd, mal so laut, dass du es hören kannst. Er sabbert leere Hochachtungserklärungen. Seine Zunge ist ein feuchter hungriger Blutegel, der nach Danielles frischem Blut giert. Dein Atem stockt, der Schweiß bricht dir aus, du wirst blass.
Er hat eine glänzende Zukunft vor sich, hörst du den Bürgermeister sagen. Der Blutegel berührt sie fast, und du stellst dir vor, wie er in ihren Gehörgang kriecht.
Und Dani antwortet: Ich kenne niemanden, der so engagiert ist wie er.
Ihr wechselt ein
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