Der Geruch von Blut Thriller
der Ferne erklingt ein tiefes Donnern. Es klingt wie Kanonenschläge, ist aber in Wirklichkeit Eis, das sich auf dem Fluss hin und her schiebt. Abgesehen vom Wind und seinem Atem ist es das einzige Geräusch, das er hört.
Er wandert, klettert und kriecht durch den Schnee. Es dauert eine Weile, bis irgendwann Worte an sein Ohr dringen. Eine Stimme gibt sich zu erkennen. Es ist seine eigene. Er fängt an zu halluzinieren. Wahrscheinlich nicht das Schlechteste.
Er spricht von Dani in ihrem Hochzeitskleid, wie fassungslos er war, als er sie so wunderschön durch die Kirche gehen sah. Ray stand direkt neben ihm und sagte: »Du hast es endlich geschafft, du Mistkerl, du hast mich eifersüchtig auf dich gemacht.«
»Endlich«, sagte Finn.
»Das wird nie wieder passieren.«
Ray hatte Recht behalten.
Vielleicht funktioniert der Trick mit dem Echo auch in Finns Kopf. Er muss etwas in die langen Flure seines Gedächtnisses rufen und drauf achten, was zurückkommt.
Sie ist bei ihm, seine tote Frau.
Er streckt die Hand aus.
Ihre Fingerspitzen berühren sich.
Er fällt, steht wieder auf und ruft etwas in seinen Kopf hinein. Einen Namen. Dani. Eine ganze Reihe von Namen. Roz. Violet.
Er fällt und steht wieder auf.
Es kommt kein Echo. Keine Reaktion. Weder im Gesicht noch sonst irgendwo spürt er diesmal etwas.
Er sagt etwas anderes. Vielleicht einen anderen Namen. Vielleicht ein Wort, das ihm so viel bedeutet, dass er es nicht für sich behalten kann. Er weiß nicht genau, was es ist.
Er fällt auf die Knie, und Dani drängt ihn, wieder aufzustehen. Er humpelt noch ein paar Schritte weiter und geht dann erneut zu Boden. Er versucht, den Fall mit den Händen abzufangen, die aber unter den Achseln feststecken. An diese Situation muss Jack London gedacht haben, als er To Build a Fire schrieb.
Ein namenloser Mann ist in einen Bach gefallen und versucht daraufhin, mit Kleinholz ein Feuer am Brennen zu halten. Als das nicht klappt, kommt er auf die Idee, seinen Hund zu töten und seine abgefrorenen Hände in den heißen Kadaver zu tauchen. Aber die Panik in seiner Stimme verschreckt den Hund, und bis er den Arm um ihn gelegt hat, sind seine Hände zu taub, um ein Messer zu halten. Er rennt eine Weile herum, erkennt schließlich aber, dass es zwecklos ist. Aus dieser
Ausweglosigkeit entsteht ein Gefühl der Ruhe, er gibt alles auf und stirbt. Der Hund läuft weg.
Wenigstens das. Wenigstens der Hund ist davongekommen.
Sollte er überleben, wird Finn diese beschissene Story aus dem Lehrplan nehmen.
Dani wischt ihm die Haare aus den Augen.
Er fällt aufs Gesicht.
Zitternd richtet er sich auf. Seine Zähne klappern so heftig, dass er ein paar der hinteren Füllungen verloren hat. Er versucht, seinen Verstand enger zu ziehen, ihn zu tragen wie eine Decke.
Beweg dich, denkt er.
Wenn du aufhörst, dich zu bewegen, stirbst du.
Aber jetzt mal im Ernst, solltest du dich nicht wie ein Hund im Schnee eingraben, so etwas bauen wie, ich weiß nicht … ein Iglu? Er meint, das mal im Kino gesehen zu haben.
Er braucht Wärmedämmung.
Finn läuft gegen einen Baum und schlägt sich die Stirn auf. Immerhin hat er noch so viel Kraft, nicht ganz hinzufallen und gleich wieder hochzukommen. Der Schmerz ist so träge wie er selbst, er geht ihm durch den Schädel, als würde er hinken. Finn versucht, die Rinde zu fühlen und den Baum zu riechen, aber seine Nasenlöcher sind voller Eis, und der scharfe Wind fegt jeden Geruch weg. Seine Hände sind zu taub, um die Struktur des Baums zu erfassen. Er kann immer noch nicht sagen, wo er sich befindet.
Ihm wird schlecht, er muss sich übergeben.
Er streckt die Hände aus, um das Erbrochene aufzufangen. Die Idee ekelt ihn an, aber wahrscheinlich würde
es der Mann in den Bergen genauso machen. Jack muss es wissen. Jack würde ihn beglückwünschen, da ist er sicher. Die Galle wird ihn wärmen.
Es ist so oder so egal, weil er seine Hände verfehlt. Sie gehorchen ihm nicht mehr.
Er hört Ray sagen: Ah, Scheiße, meine Schuhe! Weißt du, was die gekostet haben? Das sind italienische. Du verdammter Idiot!
Das ist deine Schuld, sagt Finn.
Warum zum Teufel soll das meine Schuld sein?
Wegen dir bin ich hier. Wegen dir bin ich in der Dunkelheit gefangen.
Gib mir nicht die Schuld daran. Himmel, du hast sogar die Socken getroffen … dämlicher Wichser …
Finn hebt die Arme an die Brust, aber er kann sie nicht spüren. Er will schlafen. Aber er weiß, dass die Träume dort genauso schlimm sein
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