Der Gesandte der Götter (German Edition)
hoch angebracht, dass Chirons Füße gerade noch auf dem Boden standen, obwohl er sehr groß war. Auf Menas Geheiß hatten die Soldaten Chiron mit dem Gesicht zur Wand gestellt.
„Verschwindet und bewacht den Gang!“ schnauzte Menas die Soldaten an. Als sie gegangen waren, trat er zu Chiron heran. Xoras hielt sich im Hintergrund.
„Nun, mein lieber Bruder, ich freue mich, dich endlich wiederzusehen!“ Menas‘ Stimme triefte vor Hohn und Schadenfreude. „Ich habe mich ja so nach dir gesehnt! Hättest du auch noch die reizende Loara mitgebracht, wäre mein Glück vollkommen. Doch auch so bin ich zufrieden, denn an deinem Hiersein liegt mir viel mehr. Es ist sehr schade, dass du mir den Rücken zuwenden musst, denn ich würde gern dein Gesicht sehen. Aber ich will dir nicht noch einmal die Gelegenheit geben, mich mit deinem Speichel zu besudeln. Denn das könnte mich vielleicht dazu hinreißen, dir einen schnellen Tod zu geben. Ich möchte mich aber nicht selbst um mein Vergnügen bringen. Doch nun, lieber Chiron, wie bist du hier hereingekommen, ohne dass die Wächter dich bemerkt haben? Xoras sagt, diesmal sei keine Magie im Spiel. Darum interessiert es mich brennend, wie du es bewerkstelligt hast. Los, antwortete!“
Chiron schwieg. Nachdem er nun erneut in Menas‘ Hände gefallen war, hatte er alle Hoffnung fahren lassen. Er wusste, dass sein Bruder ihn nun so bewachen lassen würde, dass ein Entkommen unmöglich war. Aber wenn Menas ihn selbst erst getötet hatte, würde Leoris vielleicht nicht mehr so streng bewacht werden. Vielleicht konnte dann dem Prinzen das Wissen um den Geheimgang einmal von Nutzen sein. Deshalb nahm Chiron sich vor, das Geheimnis auch unter der stärksten Folter nicht preiszugeben und es nur Leoris anzuvertrauen.
Chirons Schweigen brachte Menas in Wut. „Ich werde dich schon zum Reden bringen, und wenn ich dir die Haut dazu in Streifen abziehen muss!“ schäumte er. Dann schrie er auf den Gang hinaus: „Wache! Bring mir sofort eine Peitsche!“
Einer der Soldaten erschien und reichte Menas eine schwere Peitsche. Xoras trat vor.
„Wollt Ihr es nicht mir überlassen, ihn zum Sprechen zu bringen?“ fragte er begierig. „Ich bin sicher, dass es mir leichter gelingt als Euch.“
„Nein!“ schnappte Menas. „Dieses Vergnügen möchte ich selbst haben! Dafür will ich mir Zeit lassen. Habe ich keinen Erfolg, kannst du es immer noch versuchen. – Zieh ihm das Zeug vom Rücken!“ befahl er dann dem Soldaten.
Dieser beeilte sich, Chiron Hemd und Wams mit seinem Dolch vom Körper zu schneiden. Kaum war der Mann zur Seite getreten und hatte die Zelle verlassen, klatschte das schwere Leder auch schon auf Chirons ungeschützten Rücken. Chiron biss die Zähne zusammen, denn er wollte Menas nicht die Genugtuung geben, ihn schreien zu hören. Aber wie ein Wahnsinniger schlug Menas immer wieder auf ihn ein, und nun gelang es Chiron nicht mehr, das Stöhnen zu unterdrücken. Das schien Menas jedoch noch mehr anzustacheln. Er lachte grausam und bemühte sich, die Hiebe auf die bereits blutig geschlagenen Stellen zu platzieren. Plötzlich jedoch verstummte Chirons Stöhnen und sein Körper wurde in den Ketten schlaff.
„So, der hat genug für heute!“ grinste Menas befriedigt. „Nun wollen wir ihm etwas Ruhe gönnen, sonst macht er morgen zu schnell schlapp. Wenn ich von der Jagd zurückkomme, werde ich mich weiter mit ihm beschäftigen.“
„Ich könnte ihn etwas stärken“, bot Xoras mit hasserfülltem Blick an, „dann habt Ihr länger Spaß an ihm.“
„Nein, lass nur!“ wehrte Menas ab. „Zuerst will ich einmal sehen, wie viel er aushält. Der Vater hat ihn mir ja stets als leuchtendes Vorbild dargestellt. Also muss er ja wohl auch mehr ertragen können als gewöhnliche Menschen. Wenn ich merke, dass er an seine Grenzen kommt, ist dafür noch immer Gelegenheit. Komm jetzt, die Anstrengung hat mich hungrig und durstig gemacht. Jetzt wollen wir noch einen kleinen Nachtimbiss genießen!“
Damit verließen die beiden Unholde den Kerker. Als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, öffnete Leoris die Augen, die er beim Anblick von Chirons Misshandlung voll ohnmächtigem Zorn geschlossen hatte. Voller Mitleid betrachtete er den Geschundenen, der bewusstlos in den Ketten hing. Seine eigenen Ketten waren zu kurz, als dass er ihn hätte erreichen können, um zumindest die Wunden mit etwas Wasser zu kühlen. Seine Hilflosigkeit
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