Der Gesandte der Götter (German Edition)
auch Soradan nicht mehr im Sattel. Er sprang ab, breitete die Arme aus, und schon hingen seine Kinder an seinem Hals. Loara schluchzte und lachte gleichzeitig, und auch aus des Königs Augen rannen Tränen in seinen Bart hinunter, die Leoris hastig fortzuwischen suchte. Doch auch die Augen des Prinzen hatten einen verräterischen Glanz, als er seinen Vater stürmisch umarmte, obwohl er sich bemühte, seine Gefühlsaufwallungen männlich zu unterdrücken.
Chiron hatte sein Pferd zurückgehalten. Zögernd stieg er nun ab und kam langsam näher, das Pferd am Zügel führend. Als Soradan ihn herankommen sah, löste er sich aus den Armen seiner Kinder und ging auf Chiron zu. Stumm sah er ihn an, doch dann zog er auch Chiron an seine Brust.
„Seid mir tausendmal willkommen, mein Sohn!“ sagte er leise. „Und möge von nun an der Segen der Götter für alle Zeit auf Euch ruhen!“
Chiron war nicht fähig, etwas zu antworten. Seine Kehle war zugeschnürt und er bemühte sich verzweifelt, das Beben seiner Lippen zu unterdrücken. Als Soradan das bemerkte, zog er ihn nochmals in seine Arme.
Doch da sagte Loara auf einmal: „Willst du das nicht mir überlassen, Vater?“
Verwundert schaute Soradan sie an. „So hat dein Herz den Kampf also doch gewonnen, mein Kind?“ fragte er lächelnd.
„Nein, Vater, nicht mein Herz“, antwortete sie, „Chiron selbst hat den Kampf gewonnen!“ Und sie trat zu Chiron und schmiegte sich an ihn.
Chiron hatte sich wieder gefasst. „Haltet mich nicht für charakterlos, König Soradan“, sagte er, „wenn ich Euch jetzt nicht sofort um die Hand Loaras bitte. Aber ehe ich das tun kann, muss ich ihr erst wieder ebenbürtig sein. Bevor ich ihr nicht eine Heimat in der Burg meiner Väter und den Platz an meiner Seite als Königin von Varannia bieten kann, darf ich sie nicht zu meiner Gemahlin begehren. Ich bin sicher, ihr versteht das! Und auch noch andere Dinge gibt es, die vorher klargestellt werden müssen.“
„Ich respektiere Euren Wunsch, Chiron“, antwortete Soradan, „und ich heiße ihn gut. Doch nun will ich Befehl geben, dass das Heer sich lagert. Der Ort hier ist so gut wie jeder andere, und außerdem bin ich begierig, euren Bericht zu hören. Auch sehne ich mich danach, einmal wieder nach so langer Zeit mit meinen Kindern an einer Tafel zu sitzen. Es ist nun über drei Monate her, dass Leoris aufbrach, um Loara ihrem Bräutigam zuzuführen. Und ich denke, auch ihr drei werdet nach den Strapazen ein reichhaltiges Mahl in Ruhe und Sicherheit genießen.“
Rasch erteilte er einige Befehle, und das große Heer begann sich auf dem weiten Kamp zu lagern. Nach kurzer Zeit war das Zelt des Königs aufgeschlagen.
Soradan hatte auch einen Boten auf den schnellsten Pferden zurück in die Heimat gesandt, um der Königin die glückliche Nachricht zu überbringen und sie von ihren Sorgen zu erlösen.
Nicht lange danach saß man in Soradans Zelt bei einem vorzüglichen Mal, und der König lauschte atemlos den Berichten der drei Flüchtlinge.
Zuerst berichtete Leoris von seiner Gefangennahme durch Menas. Bis jetzt jedoch waren ihm die Vorgänge unklar, da Menas sich nicht die Mühe gemacht hatte, ihm zu erklären, was geschehen war.
So konnte Leoris nur sein maßloses Erstaunen schildern, als er sich eines Morgens gefesselt in Menas‘ Kerker wiederfand. Er berichtete dann, wie eines Tages Chiron zu ihm in das Verlies geworfen worden war und wie grausam Menas seinen Bruder gequält hatte. Dann erzählte er von Loaras Eingreifen.
„Wäre Chiron jedoch nicht so standhaft gewesen und hätte Menas den Geheimgang verschwiegen, obwohl dieser Unhold in fast totgeschlagen hat, wäre uns die Flucht trotz der magischen Dinge Rotrons nie gelungen. Der Tarnmantel hätte ja nur einen von uns vor den Augen der Wachen verbergen können. So habe ich es nur Chiron zu verdanken, dass ich jetzt hier in deinem Zelt sitze und meine Freiheit genießen kann“, schloss er. „Und auch, dass wir den Weg hierher unbeschadet zurücklegen konnten, gelang nur durch seine Umsicht und Tapferkeit.“
Chiron öffnete bereits den Mund, um zu widersprechen. Da aber sagte Loara, die mit tiefer Freude den Ausführungen ihres Bruders gefolgt war:
„Nein, spare dir jeden Widerspruch, Chiron, denn Leoris hat Recht! Und versuch bitte nicht wieder, aus Bescheidenheit deine Verdienste zu schmälern. Denn auch, dass Rotron mir die Zauberdinge gegeben hat, ohne die wir nie
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