Der Gesandte der Götter (German Edition)
zu zeigen, denn ich erkenne Euch.“
„Dir vielleicht nicht, Jagon“, antwortete Chiron, „doch wie du selbst sagtest, kennen nicht alle ihren König von Angesicht. Daher sollt ihr das Zeichen sehen. Doch erschreckt nicht! Ihr werdet auch noch etwas anderes sehen, etwas, das ich meinem Bruder Menas verdanke.“
Chiron hatte den Harnisch nun abgelegt und sein Wams ausgezogen. Nun streifte er das Hemd über den Kopf und wandte seinen Rücken Jagon und den anderen Männern zu, die langsam, aber voll Neugier näher gekommen waren.
Entsetzt schrien die Leute auf, als sie die kaum verheilten Striemen der Peitsche sahen. Doch sie erblickten auch die Rose, die seltsamerweise von Menas‘ Hieben nicht getroffen worden war.
Ein Aufstöhnen ging durch die Menge, doch dann brandeten Jubel und Hochrufe auf. Als Chiron sich wieder umwandte, sanken die Männer auf die Knie. Und als er nun sein Schwert zog, es hoch erhob und rief: „Wollt ihr mir folgen, um Varannia zu befreien?“ gab es keine Stimme, die dies nicht freudig bejaht hätte.
Dann sagte Jagon: „Wir alle folgen Euch gern, denn jeder von uns wird lieber sterben, als weiter zu dulden, dass Menas unrechtmäßig auf dem Thron sitzt und das Volk quält. Verfügt über uns, Herr!“
„Ich danke euch allen“, sagte Chiron bewegt, „und meine Freude ist groß zu sehen, dass meine Untertanen mir die Treue gehalten haben. Doch nicht alle sollen mir folgen. König Soradans Heer ist groß, und darum sollen sich uns nur die anschließen, die noch jung genug sind und keine Familien zu versorgen haben. Ich will nicht, dass noch mehr Leid über mein Volk gebracht wird, und hier ist jede Hand nötig, um wieder Ordnung in die Dinge zu bringen. Es soll auch niemand gezwungen werden, mit mir zu ziehen. Wer mir folgt, soll das freiwillig tun, sowie auch die Männer Soradans ihrem König freiwillig folgten, um ihren Prinzen zu befreien.“
Etwa hundert junge Männer schlossen sich dem Heer an. Doch erst am nächsten Tag gab Soradan den Befehl zum Weitermarsch. Er wusste, dass die Bewohner von Koranor Boten ausgesandt hatten, die in den Nachbarstädten die Rückkehr des Königs verbreiten sollten.
Nur die mutigsten Männer hatten sich zu dieser Aufgabe bereiterklärt, da dies ein großes Wagnis war.
Menas hatte schon vor Jahren auf Xoras‘ Geheiß in alle Städte des Reiches Soldaten entsandt, die dem Willen des Magiers unterworfen waren und mit grausamer Härte für die Durchführung seiner Befehle sorgten. Obwohl ihre Anzahl in den einzelnen Städten nicht sehr groß war, hatten sie die Bevölkerung doch so in Angst Schrecken versetzt, dass niemand es wagte, sich gegen sie aufzulehnen.
Die ausgesandten Männer mussten also gegenwärtig sein, dass sie von den Soldaten angegriffen oder sogar von den Bürgern aus Angst verraten wurden. Doch die Boten waren geschickt ausgewählt worden. Jeder von ihnen hatte in der Stadt, die sein Ziel war, Freunde oder Verwandte, denen er vertrauen konnte. So würde sich die Nachricht schnell verbreiten und auch die anderen Städte würden vielleicht, vom Beispiel Koranors ermutigt, vom Kampf gegen Soradans Heer abstehen.
Immer wieder bewunderte Chiron Soradans weise Voraussicht und kluge Planung. Er hatte den einzigen Weg gefunden, Menas zu besiegen, ohne ein Blutvergießen unter seinen eigenen und den unschuldigen Leuten von Varannia anzurichten.
Selbst wenn hier und da jemand fallen sollte, so war das doch nur ein geringes Opfer im Vergleich dazu, wie viele Tote eine offene Schlacht gekostet hätte.
Wie auf den Flügeln des Windes verbreitete sich die Nachricht von Chirons Rückkehr im Reich und bestätigte die Gerüchte, die Soradan bereits durch seine eigenen Leute hatte ausstreuen lassen, um den Boden vorzubereiten.
Überall im Land erhob sich das geknechtete Volk und verjagte oder erschlug die von Menas eingesetzten Peiniger.
So zog Soradans Heer ohne einen Schwertstreich auf die Hauptstadt und die Burg zu. Immer mehr junge Männer schlossen sich dem Heerzug an, so dass eines Tages eine gewaltige Armee vor Menas‘ Zuflucht Stellung bezog.
*****
Mit wachsender Besorgnis hatte Xoras von der Flucht und der Vernichtung seiner Knechte hören müssen, von denen immer neue Schreckensbotschaften auf dem Schloss eintraf.
Viele der Soldaten hatten gar nicht mehr versucht, sich zu wehren, sondern waren sofort vor der Wut des Volkes geflohen, als sie von den Ereignissen in den anderen Städten
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