Der Gesandte der Götter (German Edition)
Blicke zu der ins Obergeschoss führenden Treppe und sie erwarteten jeden Augenblick, dass das Grauen auf sie herabkäme.
Obwohl die Männer Loara nicht über die Geschehnisse informiert hatten, schien auch sie atemlos zu lauschen. Sie saß eng an Chiron geschmiegt und rührte sich nicht. Die Zeit schien stillzustehen. Keiner der drei hätte sagen können, wie lange sie so dagesessen hatten, als plötzlich draußen die mächtige Stimme Rotrons erklang:
„Halt, Xoras! Hier und jetzt ist dein Weg zu Ende. Nun wirst du den Lohn für alle deine üblen Taten bekommen. Die Götter sind deiner Frevel überdrüssig und sandten mich, dir Einhalt zu gebieten. Wisse denn, ich bin Rotron, und ich bin gekommen, dich zu vernichten!“
Xoras stieß einen erschrockenen Ruf aus. „Bei allen Dämonen! Rotron, einer der zehn Gesandten!“ Doch dann schien er sich wieder zu fangen, und die Gefährten hörten, wie er ein heiseres Lachen ausstieß. „Du warst es also, der meine Pläne durchkreuzte! Aber wie groß deine Macht auch sei, auch ich bin ein Eingeweihter und nicht ohne Verbündete! Wir werden sehen, ob es dir gelingt, mich zu vernichten. – Kroramaal!“ schrie er auf einmal. „Höre mich, Fürst der Dämonen! Dein treuer Diener ruft nach dir.“
Rotron bemerkte, dass Xoras versuchte, sich mithilfe eines Zaubers in den Turm zu begeben, doch er kam ihm zuvor. Ein gewaltiger Gegenzauber bannte Xoras an seinen Platz.
„Du wirst dich mir wohl allein stellen müssen“, rief Rotron ihm zu. „Dein Dämon wird dir nicht helfen, denn du hast ihm nicht gebracht, was du ihm für seine Hilfe schuldest. Und du weißt genau, dass dein Schutzzauber allein meiner Macht nicht lange widerstehen wird. Ich warne dich davor, den Dämon zu wecken, denn du hast nichts, was du ihm anbieten kannst. Machst du ihn wütend, lässt er diese Wut vielleicht an dir aus.“
Xoras hatte nicht gesehen, woher Rotron gekommen war, denn der Gesandte der Götter war wie aus dem Nichts vor Xoras erschienen. So glaubte er immer noch, dass der Verfolger hinter ihm aus dem Durchgang zum Tal gekommen sei. Daher kam er gar nicht auf die Idee, dass Rotron bereits vor ihm in seiner Zuflucht gewesen sein könnte. Somit wähnte er seine Gefangene immer noch da, wo er sie zurückgelassen hatte.
Darum lachte er hämisch: „Wir werden sehen, ob ich nichts habe, um ihn mir geneigt zu machen.“ – „Loara!“ schrie er dann, „Loara, ich befehle dir: Geh die Treppe hinauf und knie vor Kroramaals Altar!“
Bei Xoras‘ Ruf schoss Loaras Kopf in die Höhe. Ihre Augen bekamen einen starren Ausdruck und sie murmelte: „Ich gehorche!“ Sie versuchte, trotz ihrer Fesseln auf die Beine zu kommen, doch Chiron und Leoris hielten sie fest. Xoras spürte wohl, dass das Mädchen sich nicht vom Fleck rührte und rief daher nochmals: „Loara, gehorche meinem Willen!“
Loara begann sich wild zu sträuben, doch die beiden Männer hielten sie mit all ihrer Kraft. Fast sah es so aus, als ließe ihr Widerstand nach und sie sank in sich zusammen. Doch plötzlich wehrte sie sich erneut, und als es ihr nicht gelang, dem Griff der Männerfäuste zu entrinnen, fing sie gellend an zu schreien. Ihre Augen verdrehten sich und sie krümmte sich stöhnend auf dem Boden.
„Nein, nein!“ schrie sie. „Lasst mich gehen! Ich muss gehen! Ich kann diese Qual nicht ertragen.“ Mit einmal schien sich ihr Blick zu klären und sie sah Chiron flehend an. „Chiron, bitte, du musst mich gehen lassen! Wenn ich nicht gehe, wird er mich töten. Lasst mich los! Könnt ihr denn zusehen, dass er mich so leiden lässt?“
Der Ausdruck in ihren Augen trieb Chiron zur Verzweiflung und unwillkürlich lockerte sich sein Griff. Doch Leoris war auf der Hut.
„Nein, Chiron, du darfst nicht schwach werden!“ rief er. „Denk daran, wer sie dort oben erwartet.“
Chiron riss sich zusammen und packte wieder fester zu. „Nein, mein Liebling, ich kann dich nicht gehen lassen“, sagte er gepresst. „Keine Qual kann so schlimm sein wie das, was dich da oben erwartet.“ Und er hielt Loaras Arme mit eiserner Gewalt, obwohl ihm das Stöhnen des Mädchens das Herz zerriss.
Unterdessen war Rotron nicht untätig gewesen. Immer wieder schleuderte er Xoras gewaltige Kräfte entgegen, um den Schutzzauber des Unholds zu durchbrechen.
Rotron musste sich eingestehen, dass Xoras‘ Macht doch weit größer war, als er vermutet hatte. Hätte er seine Kräfte
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