Der Gesandte des Papstes
musste er nicht warten. Einer der Söldner, ein Mameluck, zog gerade einen Pfeil aus seinem Köcher, als er mit schreckgeweiteten Augen nach vorne taumelte und die Böschung herunterstürzte. Aus dem Schilfwald flogen Armbrustbolzen. Langsam begriffen die Söldner, was geschah, liefen auseinander und suchten hinter Bäumen, Felsen oder in Bodenmulden Deckung. Ihre Verwirrung legte sich rasch, und sie beschossen das Schilfdickicht, obwohl ihre Gegner darin nicht zu sehen waren. Niemand achtete mehr auf das Boot.
Raoul nahm all seine Kraft zusammen und ruderte, so schnell er konnte. In einiger Entfernung von den Söldnern erreichten sie das Ufer, sprangen an Land und rannten durch das gelbe Gras. Der Eunuch und ein weiterer Krieger hatten ihre Deckung aufgegeben und stürmten mit blanken Schwertern auf den Schilfwald zu. Als sie Raoul und Jada entdeckten, änderten sie ihre Richtung. Doch da brach ein brüllender Oskanjan mit einem seiner Söhne aus dem Schilf. Mit ihren Äxten warfen sie sich den Söldnern entgegen, Stahl klirrte auf Stahl.
Raoul und Jada schlugen den Weg zu Oskanjans Haus ein, Andranik rannte mit dem Kurzbogen in der Hand auf sie zu. »Die Pferde sind da drüben!«, rief er, und sie folgten dem Armenier zu einem Ulmenwäldchen.
»Wo ist Matteo?«, fragte Raoul atemlos.
»Ich weiß es nicht«, sagte Andranik. »Verschwunden.«
Raoul blieb stehen. Eine böse Ahnung keimte in ihm auf. »Was heißt das, verschwunden?«
»Er war die ganze Zeit bei mir. Erst als der Kampf begann, war er plötzlich fort.« Der Armenier warf einen gehetzten Blick zum Seeufer. »Wir müssen weiter!«, drängte er und lief voraus.
»Was ist mit Gaspare?«, fragte Jada alarmiert.
»Ich hoffe, dass ihn nur der Mut verlassen hat«, sagte Raoul und setzte sich wieder in Bewegung.
Andranik brach aus dem Unterholz des Wäldchens hervor. »Die Pferde! Jemand hat sie losgebunden!«
O nein, Matteo, dachte Raoul bitter. Die ganze Zeit hatte er gegen sein Misstrauen angekämpft, hatte versucht, den Beteuerungen seines Freundes Glauben zu schenken … aber etwas in ihm war immer klüger gewesen. Und jetzt gab es keinen Zweifel mehr.
»Gaspare!«, sagte Jada scharf und fuhr zu Raoul herum. »Was bezweckt er damit? Du weißt doch etwas.«
Raoul hatte ihr nichts von Matteos Geheimnis und ihrem Gespräch am Vulkansee erzählt. Und jetzt war dafür keine Zeit. »Später«, erwiderte er. »Wir müssen die Pferde einfangen!«
Andraniks Kleinpferd hatte sich nicht weit von der Lichtung entfernt; Jadas Araber jedoch war nirgends zu sehen. Andranik blieb auf der Lichtung zurück, Raoul und Jada suchten in verschiedenen Richtungen. Raoul verfluchte sich dafür, nicht auf seine Ahnungen gehört zu haben, als er durch das Unterholz hetzte und Äste und Gestrüpp an seinem Wams rissen. Matteo hatte niemals beabsichtigt, sich von Morra loszusagen. Seit Konstantinopel hatte er gute Miene zum bösen Spiel gemacht, da er genau wusste, dass er ohne Raouls Hilfe das Zepter niemals finden würde. Er scherte sich nur um die Rettung seiner Seele. Die Freundschaft zu Raoul war nur Mittel zum Zweck gewesen.
Ich hätte ihn im Hochland zurücklassen sollen, dachte Raoul voller Zorn auf sich selbst. Ich hätte ihn fortschicken sollen, sowie ich von seinem Handel mit Morra erfuhr. Wer weiß, was er jetzt anrichtet …
Am Waldrand angekommen, ließ er seinen Blick über die Wiese schweifen: weit und breit keine Spur des Araberhengsts.
Plötzlich hörte er einen Schrei.
Jada!
Raoul rannte los, ohne auf den Schmerz, den peitschende Äste ihm im Gesicht zufügten, zu achten. Er hält sie für eine Hexe, er wird nicht zögern, sie umzubringen!, durchfuhr es ihn. Er brach durch mannshohe Farne und stolperte auf eine kleine Lichtung zwischen alten, moosbewachsenen Bäumen.
Dort lag Jada auf dem Boden. Sie bewegte sich. Dem Himmel sei Dank, sie lebt!
Raoul stürzte zu ihr, half ihr in eine kauernde Position. Sie schien unverletzt zu sein, war jedoch benommen.
»Was ist geschehen?«, fragte er.
»Gaspare. Er hat mich niedergeschlagen …« Ihr Blick klärte sich schlagartig, und ihre Hand fuhr zum Gürtel. »Das Zepter! Er hat das Zepter genommen!« Sie sprang auf, verlor das Gleichgewicht und griff nach Raouls Arm, um sich abzustützen. »Es geht schon«, sagte sie, um seiner Frage zuvorzukommen. Doch er sah ihr vor Schmerz verzerrtes Gesicht.
»Wo ist er hin?«, fragte Raoul.
»Ich weiß es nicht.«
»Raoul! Jada!«, ertönte Andraniks Stimme aus
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