Der Gesandte des Papstes
hatten: Höhlen, Grabstätten, verfallene Kastelle, verborgene Einsiedeleien seiner Anhänger. Nirgendwo war Antonius zu finden. Dass der römische Kaiser immer härter gegen die Christen vorging, erschwerte ihre Suche. Viele der früheren Freunde, die ihr vielleicht hätten helfen können, waren tot oder gefangen.
Nach zwei Jahren hörte sie von einem ehemaligen Schüler Antonius’, der sich aus Furcht vor den Römern vom Christentum losgesagt hatte, dass ihr Geliebter einige Anhänger um sich geschart und Ägypten verlassen hatte. Jada folgte seiner Spur zum Sinai und von dort aus nach Jerusalem, Nazareth und Sidon. In Damaskus verlor sie sich.
Trotzdem gab Jada nicht auf. Vier Jahre lang reiste sie durch ganz Palästina und Syrien und spürte die christlichen Gemeinschaften auf. Meist hielt man sie für einen Spitzel der Römer und gab ihr keine Auskunft. Die wenigen Christen, die bereit waren, mit ihr zu sprechen, hatten Antonius nicht gesehen. Jada kam zu dem Schluss, dass er das Römische Reich verlassen hatte, um vor der Verfolgung sicher zu sein.
Sie wanderte nach Osten, zu den Ländern an Euphrat und Tigris, und ein weiteres Jahr verstrich.
Währenddessen erließen die römischen Kaiser Toleranzedikte zum Schutz der Christen und beendeten die Verfolgung. Jada hörte davon, als sie einer Gruppe syrischer Christen begegnete, die nach Jahren des Exils heimkehrten. Augenblicklich machte sie sich auf den Rückweg nach Ägypten. Antonius liebte sein Heimatland. Jada war sicher, dass er dorthin zurückkehrte, sowie er vom Ende der Christenverfolgung erfuhr. Wo immer er sich auch aufhielt.
Sie erwartete ihn in Alexandria, obwohl jeder andere Ort genauso gut gewesen wäre. Die christlichen Gemeinden Ägyptens feierten ihre neue Freiheit, indem sie offen Gottesdienste abhielten, Kirchen bauten und neue Mönchsgemeinschaften gründeten. In diesem Freudenrausch hätte die Rückkehr eines bedeutenden Mannes wie Antonius so viel Aufsehen erregt, dass Jada selbst dann davon erfahren hätte, wenn er im entlegensten Winkel des Landes gesehen worden wäre.
Aber er kam nicht. Es gab nicht den kleinsten Hinweis, dass er sich wieder in Ägypten aufhielt. Jada versuchte, sich in ihn hineinzuversetzen. Antonius hielt sie für tot. Die meisten seiner früheren Freunde und Weggefährten waren verschwunden oder nicht mehr am Leben. Möglich, dass er sich wieder in die Wüste zurückgezogen hatte, um den Rest seines Lebens in Einsamkeit zu verbringen.
Wieder machte sich Jada auf die Suche nach ihm, reiste zu den Einsiedeleien am Roten Meer, zu den Orten, an denen sie mit ihm gelebt hatte. Nichts. Antonius blieb verschwunden. Niemand hatte ihn gesehen oder etwas von ihm gehört.
Sie kehrte nach Alexandria zurück und wartete: Ein Jahr verging, ein zweites. Jada redete sich ein, dass er sehr weit entfernt von Ägypten lebte und vielleicht erst jetzt vom Ende der Christenverfolgung erfahren hatte, sodass es noch zu früh war, mit ihm zu rechnen.
Sie wartete noch ein Jahr. In einem Jahr konnte man alle Orte der bekannten Welt erreichen, selbst wenn man zu Fuß
ging oder unterwegs durch Krankheit aufgehalten wurde. Sie musste nur Geduld haben. Ja, Geduld.
Nach zwei Jahren gestand Jada sich ein, dass er tot war. Wäre er noch am Leben gewesen, hätte er alles darangesetzt, nach Ägypten zurückzukehren, zu seinen Freunden, seinen Schülern und Anhängern, zu den Orten, die er liebte. Dass er es nicht getan hatte, ließ nur diesen einen Schluss zu. Jada war sich im Klaren darüber, dass ihn etwas an seiner Rückkehr gehindert haben könnte; Gefangenschaft etwa, oder eine Verletzung. Doch da war eine Gewissheit, die nichts mit Vernunft zu tun hatte. Jada spürte, dass das Band zwischen ihnen zerrissen war. Es war schon vor Jahren zerrissen, aber sie hatte es nicht sehen wollen.
Sie hatte immer geahnt, dass es eines Tages so kommen würde. Ihre Lebensspanne war so viel länger als die eines Menschen. Sie hatte gewusst, eines Tages würde er grau und gebrechlich werden und sterben, während sie für menschliche Begriffe nicht alterte. Sie hatte sich damit abgefunden, schon vor langer Zeit. Es war der Preis, den sie für ihre Liebe zu ihm zahlen musste. Und sie hätte ihn mit Freuden gezahlt, wenn sie von ihm Abschied hätte nehmen können. Aber einen Abschied gab es nicht, würde es nie geben.
Sie lebte in der Höhle, in der sie sich zum ersten Mal geliebt hatten, bis die Erinnerungen, die dort wohnten, sie zu zerbrechen drohten.
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