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Der Gesandte des Papstes

Titel: Der Gesandte des Papstes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Lode
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Sie wanderte durch die Wüste, floh vor ihrer Vergangenheit, vor sich selbst. Als ihr klar wurde, dass der Schmerz niemals verschwinden würde, schloss sie ihn tief in sich ein.
    Jada versuchte, zu vergessen.
    Irgendwann kehrte sie in die Welt der Menschen zurück. Sie sah ein Imperium zerbrechen und neue Reiche aufsteigen. Sie erlebte den Feuersturm der arabischen Eroberungszüge und den langsamen Zerfall von Byzanz. Sie vergaß die Sprache ihres Volkes und hatte tausend Namen. Wenn die Menschen in ihrer Nähe zu ahnen begannen, dass die Zeit ihr nichts anhaben konnte, zog sie weiter, immer rastlos, immer auf der Flucht.

    Sie war die Geliebte von Kaufleuten und die Konkubine von Fürsten. Sie teilte ihr Bett mit Kriegern und Priestern, mit Dichtern und Händlern. Die meisten waren nur Zerstreuung, einige ihre Freunde, doch keinen liebte sie. Jada hatte sich geschworen, nie mehr einen menschlichen Mann zu lieben.
    Sie hielt ihren Schwur, als der Emir von Damaskus versprach, ihr ganz Syrien zu Füßen zu legen. Sie hielt ihn, als Lieder für sie geschrieben und Kunstwerke für sie geschaffen wurden, als Männer ihr Leben für sie aufs Spiel setzten und schworen, noch viel mehr zu tun, um ihr Herz zu gewinnen. Der Schwur war ihr Schild; er bewahrte sie davor, noch einmal den Schmerz zu erfahren, den sie nach Antonius’ Tod erlebt hatte. An seinem Grab, mit dem Zepter in der Hand, wollte sie ihn erneuern - doch es gelang ihr nicht.
    Und jetzt, hier, in dem Birkenhain im Hochland Armeniens, während ein mongolischer Krieger sein Schwert über Raouls Kopf hielt, verstand sie, warum.
    Sie hatte ihren Schwur längst gebrochen.
     
    Ein Ruf erklang, und der Schatten senkte den Säbel.
    Jadas Kopf fuhr herum, und sie blickte zu den zwei Männern, die den Hang herunterkamen. Der größere schwenkte den Arm und rief noch einmal, worauf die Mongolen ihren Griff lockerten. Raoul nutzte die Gelegenheit und riss sich los. Als er sich aufrichtete, gaben seine Knie unter ihm nach. Seine Hände gruben sich in den taufeuchten Boden, und er glaubte, sich übergeben zu müssen.
    Stimmengewirr, ein schleifender Laut - das Schwert wurde in die Scheide geschoben. Die Mongolen rührten ihn nicht mehr an. Raoul konnte keinen klaren Gedanken fassen. Waren sie gerettet?
    Eine weiße Gestalt erschien vor ihm.
    »Raoul«, sagte Jada leise. Sie nahm seinen Kopf in die Hände, strich ihm zart über die Wangen und das Haar. Er sah das
sanfte Licht in ihren Augen und roch ihren Duft, als sie seine Taille umfasste und ihren Kopf auf seine Brust legte. Raoul vergrub sein Gesicht in ihrem Haar, vergaß den Schmerz und die Furcht.
    Lange knieten sie dort auf dem Waldboden und gaben sich gegenseitig Trost. Als sie sich voneinander lösten, waren die Mongolen fort. Raoul sah den letzten, den Krieger mit dem Stummelzopf, hinter der Hügelkuppe verschwinden.
    »Was ist geschehen?«, fragte er, während er aufstand. Die Kraft war in seine Beine zurückgekehrt.
    »Er hat uns gerettet«, sagte Jada und wies mit einer Kopfbewegung zu den Bäumen. Ihre Stimme hatte einen schneidenden Klang.
    Am Rand des Wäldchens, als wage er sich nicht in ihre Nähe, stand ein Mann in einem einst kostbaren, jetzt schmutzigen und zerschlissenen roten Gewand. Raoul erkannte Harun ibn-Marzuq. »Er? Was hat er hier zu suchen? Ist das eine Falle?«
    Statt einer Antwort ging Jada auf ibn-Marzuq zu. Raoul folgte ihr und behielt dabei die Gegend im Auge. Hatte al-Munahid beschlossen, ihn und Jada besser eigenhändig aus dem Weg zu räumen? Doch wie es schien, war der Wesir allein.
    Ibn-Marzuq hielt einen Lederbeutel in den Händen und schaute sie forschend an. Er trug keine sichtbaren Waffen bei sich, trotzdem wahrte Jada einen Abstand von einigen Schritten. Sie sprach ihn auf Arabisch an, worauf sich ein kurzes Gespräch entspann. Offenbar um eine Behauptung zu untermauern, öffnete ibn-Marzuq seinen Beutel und zeigte Jada den Inhalt. Er bestand aus einigen Münzen und Schmuck.
    »Er sagt, al-Munahid wollte ihn töten, um das Zepter für sich zu behalten«, erklärte Jada. »Heute Morgen ist er geflohen. Er hat uns von den Mongolen freigekauft, damit wir ihm helfen, al-Munahid aufzuhalten.«
    »Und das sollen wir glauben?«, rief Raoul. »Er hat den Angriff auf Battistas Haus befohlen! Er war dabei, als wir in Konstantinopel
fast getötet wurden. Wahrscheinlich ist er auch für das Blutbad in Yeramos verantwortlich.«
    »Nein«, sagte ibn-Marzuq in einwandfreiem Latein. »Was in

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