Der Gesandte des Papstes
erklärt.
Raoul suchte sich einen schattigen Platz neben einem Brunnen und beobachtete das Geschehen. All die Zweifel vom Tag seines Aufbruchs waren wieder da. Er war nach Rom gekommen, um ein besserer Mann zu werden. Doch als er zur Basilika aufblickte, sah er nur eine Treppe und ein Bauwerk, das alt und leer erschien, als habe die Last der Tränen und Verzweiflung die Fundamente über die Jahrhunderte ausgehöhlt. Wie sollte er hier etwas finden, das er nicht auch an jedem anderen Ort hätte finden können?
Reiß dich zusammen und versuch es wenigstens! Selbstmitleid hilft dir auch nicht!
Er zog das Kreuz aus seinem Hemdkragen, ein Geschenk seines Vaters zu seinem zehnten Namenstag, und küsste das Silber,
ehe er sich seinen Weg durch das Gedränge bahnte und auf der ersten Stufe niederkniete.
Am frühen Abend saß er im Hof einer überfüllten Taverne und löschte seinen Durst mit einem Krug kühlem Brunnenwasser. Den Lärm um sich herum, die Hitze der vielen Leiber bekam er kaum mit. Er hatte gebetet, ein Oratio Dominica für jede Stufe, bis seine Knie schmerzten und seine Kehle ausgedörrt war … und geschehen war nichts. Er wusste nicht, was hätte geschehen sollen. Vielleicht war es zu früh, etwas zu erwarten; schließlich lagen noch neunundzwanzig Tage vor ihm. Doch wenn er an den bevorstehenden Monat dachte, an die endlosen, immer gleichen Stunden auf der Treppe unter der Basilika, verspürte er keine Hoffnung, sondern nur ein Gefühl der Sinnlosigkeit.
Geduld. Er musste Geduld haben, so schwer es ihm auch fiel. Gleich am ersten Tag aufgeben hätte der Raoul getan, den er in Bazerat zurückgelassen hatte. Er war nicht der Erste, der an diesem Ort Schmerzen, Hoffnungslosigkeit und Zweifel erfuhr.
Müde brachte er den Krug zu dem verwitterten Becken, in das Wasser aus dem Maul eines Fischwesens plätscherte, und wandte sich zum Ausgang, als er das Mädchen bemerkte.
Eine schwarzhaarige Schönheit mit dunklen, warmen Augen, in einem schlichten Gewand aus grobem Tuch, unter dem sich aufregende Rundungen erahnen ließen. Sie musste ihn beobachtet haben, denn als sein Blick ihrem begegnete, lächelte sie.
Seine Erschöpfung war augenblicklich vergessen, und er erwiderte das Lächeln. Das Mädchen war nicht von hier, das sah er an seiner Kleidung. Vielleicht eine Französin oder Neapolitanerin. Es stand bei einer Gruppe von drei jungen Männern, wahrscheinlich seine Brüder.
Raoul lehnte sich an eine der Holzsäulen, die die Decke trugen, und musterte das Mädchen. Es sah zu ihren Brüdern, rollte mit den Augen und deutete ein Gähnen an. Er musste lachen. Sie war schön und hatte Witz - ganz nach seinem Geschmack.
Er warf einen verstohlenen Blick zu den drei Männern, die eine lautstarke Diskussion führten. In welcher Sprache, konnte er in dem Stimmengewirr der Taverne nicht verstehen. Es sollte nicht schwer sein, das Mädchen unbemerkt von ihnen fortzubringen, an einen Ort, wo sie alleine sein und sich kennen lernen konnten. Raoul kannte dieses Spiel. Er hatte es oft genug gespielt. Und es war genau das, was er nach diesem seltsamen Tag brauchte.
Im Blick des Mädchens lag eine deutliche Aufforderung. Raoul schob sich durch die lärmende Menge und steuerte einen Seiteneingang an, wo kaum Gedränge herrschte. Das Mädchen verstand, was er vorhatte, und entfernte sich unauffällig von ihren Brüdern.
Er wartete in einer halbdunklen Gasse hinter dem ummauerten Hof der Taverne. Ein öliges Rinnsal floss in einer Kerbe im Pflaster, es stank nach saurem Wein und Urin. Der üble Geruch, die warme, drückende Luft und der plötzliche Hustenreiz führten dazu, dass die Vorfreude augenblicklich verflog. Was bei allen Höllen tue ich hier?, dachte er. Er hatte geglaubt, er hätte sein altes Leben in Bazerat zurückgelassen, doch es war ihm gefolgt und lauerte hinter jeder Ecke.
Er warf einen Blick in den Schankraum. Das Mädchen kam in dem Gedränge nur langsam voran. Raoul wandte sich ab und ging die Gasse hinunter, fort von der schäbigen Taverne und einem weiteren Mädchen ohne Namen. Rom war eine Stadt wie jede andere und er immer noch der gleiche Narr.
Als er Morras Palast erreichte, sprach der Kardinal gerade im Innenhof mit Francesco, dem Hauptmann seiner Leibgarde. Er musste eben erst zurückgekommen sein, denn die Pferde seiner Kutsche waren noch nicht ausgespannt worden. Morra bemerkte ihn.
»Ah, mein junger Gast. Ich hoffe, Ihr habt Euch während meiner Abwesenheit nicht
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