Der Gesandte des Papstes
wenn einer von ihnen nach Jerusalem aufbräche, und dann wäre die Reise in höchstem Maß gefährdet.«
»Und was ist mit diesem Schreiber?«
»Er steht erst seit kurzem in meinen Diensten. Ich habe dafür gesorgt, dass keiner der Spitzel Gelegenheit bekam, sich sein Gesicht einzuprägen.«
Raoul wies mit einem Kopfnicken auf die Pergamentrolle. »Warum sollte der König verhindern wollen, dass dieses Schriftstück nach Jerusalem gelangt?«
Morras Blick wurde hart. »Lasst es mich so ausdrücken: Philipp von Frankreich scheint die Absicht zu haben, dem Heiligen Vater auf jede erdenkliche Weise zu schaden. Auch wenn er selbst keinen Vorteil daraus gewinnt. Er hasst die Kirche.«
Die Antwort stellte Raoul nicht zufrieden. »Und der Heilige Vater? Was bezweckt er mit alldem?«
Der Kardinal schwieg einen Moment. »Ihr stellt viele Fragen«, sagte er.
»Mir bleiben nur noch wenige Monate. Ich will genau wissen, wofür ich meine Zeit aufwende.«
Morra musterte ihn, dann rang er sich schließlich zu einer Erklärung durch. »Die Schriftrolle enthält Hinweise auf das Versteck des Stabes des heiligen Antonius - eine Reliquie, die von großer Bedeutung für den Heiligen Vater ist. Mein Schreiber hat den Auftrag, sie gemeinsam mit unserem Verbündeten aufzuspüren.«
Raoul hatte gehört, dass der Lateranpalast Dutzende von Reliquien enthielt: Gebeine, Splitter vom heiligen Kreuz, Fasern von Lazarus’ Leichentuch, ganze Schatzkammern voll von Dingen, die Märtyrer aller Jahrhunderte besessen oder berührt hatten. Und nun verlangte es den Papst nach dem Stab eines Heiligen. Morras Erklärung war glaubhaft.
Es klopfte, und ein Mann kam herein.
»Ah, Matteo. Sehr gut«, sagte Morra. »Das ist Matteo Gaspare, mein Schreiber«, stellte er Raoul den Neuankömmling vor.
Gaspare begrüßte sie beide mit einer angedeuteten Verneigung und blieb respektvoll nahe der Tür stehen. Er war recht klein, trug ein weißes Hemd und Hosen aus grober Wolle und hatte ein mondförmiges, jungenhaftes Gesicht und kurze, rabenschwarze Locken. Sein Alter war schwer zu schätzen; er mochte vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt sein.
Der Blick des Kardinals ruhte auf Raoul. »Begleitet Matteo nach Jerusalem, und ich werde dafür sorgen, dass Euch der Heilige Vater all Eure Sünden vergibt. Ganz gleich, wie schwer wiegend sie sein mögen.«
Raoul horchte in sich hinein. Zum ersten Mal seit vielen Tagen verspürte er weder Zweifel noch Hoffnungslosigkeit. Was Morra ihm anbot, war so viel mehr als das, was er in Rom zu finden erhofft hatte. Wenn ihm Erfolg beschieden war, konnte er in dem Wissen sterben, dass sein Leben nicht vergeudet gewesen war - dass er wie ein Ritter gehandelt hatte. Bei diesem Gedanken wusste Raoul, dass die Entscheidung längst gefallen war.
»Ich nehme Euer Angebot an, Eminenz.«
Kardinal Morra nickte zufrieden. »Damit erweist Ihr der Christenheit einen unermesslichen Dienst.«
DREI
D ie Nachricht war solch ein ungeheurer Glücksfall, dass sich Harun ibn-Marzuq, Wesir von Sultan an-Nasir Muhammad, zu einem Gebet hinreißen ließ, sowie die Schritte des Boten verklungen waren. Er betete nur noch selten, ganz gewiss nicht so oft, wie es das Gesetz vorschrieb, aber dieser Brief war es wert, dass er sich auf dem kleinen Teppich in der Nische niederließ, obwohl sein Rücken rein gar nichts davon hielt.
Ein Geschenk Allahs, dachte ibn-Marzuq, als er wieder in den Kissen seines Gemachs saß und den Brief noch einmal las. Allmächtiger, ich danke dir. Die Mühen, die sein Vertrauter in Rom auf sich genommen hatte, um Quellen der Indiskretion in den Palästen der Kirchenherren zu erschließen, hatten sich schon jetzt gelohnt. Dabei konnte von Mühen nicht einmal die Rede sein; ibn-Marzuq erstaunte es noch immer, wie gering die Hindernisse gewesen waren. Aber das Oberhaupt aller Christen und seine Kardinäle waren so sehr mit ihrem Zwist mit dem französischen Königshaus beschäftigt, dass sie nicht mit Angriffen von anderer Seite rechneten. Eine Unbedachtheit, die Rom gar nicht ähnlich sah. Und für wie wenig Gold so mancher gute Christ bereit war, die intimsten Geheimnisse seines Herrn preiszugeben! Das beste Beispiel war der Verfasser des Briefs, den ibn-Marzuq in den Händen hielt. Der junge Hauptmann begnügte sich mit einer Bezahlung, die einem Bruchteil seines Soldes entsprach. Es schien dem Sizilianer Lohn genug zu sein, einen verhassten Florentiner, wie Kardinal Morra einer war, zu hintergehen.
Der
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