Der Gesandte des Papstes
geht ihm gut.«
»Er erfreut sich bester Gesundheit.« Gaspare rührte seinen Wein nicht an. Er wartete, bis sich die Tür hinter dem Diener geschlossen hatte, bevor er das Futteral öffnete. »Hier ist eine Nachricht von ihm.«
Battista nahm den Brief entgegen, brach das Siegel und entfaltete das Pergament. Furchen bildeten sich auf seiner Stirn, während er las. »Der zweite Teil der Vita Antonii ?«
Anstelle einer Antwort holte Gaspare die Schriftrolle hervor und legte sie auf den Tisch. Battista faltete den Brief zusammen und entrollte das Pergament. Die Art, wie er das Schriftstück betrachtete, deutete darauf hin, dass er Griechisch lesen konnte. Der Glanz in seinen Augen wurde ehrfürchtig.
»Beim Blut unseres Herrn«, flüsterte er. »Dann ist es also wahr.«
»Ja«, sagte Gaspare, »es ist wahr.«
Raoul beobachtete die beiden Männer und erkannte plötzlich, dass es um weit mehr ging als um eine verloren geglaubte Schriftrolle und eine alte Reliquie.
Cristoforo Battista ließ ihnen zwei kleine, aber saubere Unterkünfte im Dachgeschoss des Haupthauses herrichten. Obwohl sein Auftrag erfüllt war, wollte Raoul sich erst in einigen Tagen auf den Rückweg machen. Er brannte darauf, die heiligen Stätten Jerusalems zu sehen.
Als die Sonne schon hinter dem Ölberg versunken war, machten sich er und Battista auf den Weg. Die Pferde ließen sie zurück, denn nur Muslimen war es erlaubt, innerhalb der Stadtmauern zu reiten. Ihre Kleidung hatten sie gegen die schlichten Kutten eingetauscht, die für Christen vorgeschrieben waren. Gaspare war in der Karawanserei geblieben, müde von der Reise.
Am Jaffator unter der Davidsburg, dem westlichen Zugang nach Jerusalem, reihten sie sich in die Schlange aus Menschen, Karren und Maultieren ein. Vier Torwächter stützten sich gelangweilt auf ihre Lanzen. Die Muslime und Juden unter den Reisenden beachteten sie nicht; die Christen bedachten sie mit argwöhnischen Blicken und kontrollierten nicht selten deren Gepäck und Waren. Battista, der in der Kutte und mit seinem kurz geschorenen Haar wie ein Mönch wirkte, stellte eine steinerne Miene zur Schau. Die Soldaten kannten ihn und ließen ihn ungehindert passieren.
»Als Christ muss man heutzutage persönlich mit dem Emir bekannt sein, um nicht wie ein Landstreicher schikaniert zu werden«, erklärte er Raoul. »Das neueste Gesetz untersagt uns, Schweine zu halten. Es sei eine Beleidigung für jeden Muslim, unreine Tiere in der Nähe zu haben. Allmächtiger Gott! Ich frage mich, wann der Tag kommt, an dem sie uns Ostern und Weihnachten verbieten. Und dafür haben unsere Väter vor diesen Mauern ihr Blut vergossen.«
Battista machte seinem Hass auf die Mamelucken Luft, seit sie von der Karawanserei aufgebrochen waren. Raoul wünschte inzwischen, er wäre allein gegangen. Er kannte Männer wie den Venezianer zur Genüge; am Hof in Metz begegnete man ihnen auf Schritt und Tritt. Ihr Gerede war immer dasselbe: Der Untergang der Kreuzfahrerstaaten und der Verlust von Jerusalem an die Sarazenen sei eine Schande für die Christenheit, gegen die endlich etwas unternommen werden müsse.Als Heranwachsender, für den alle Kreuzfahrer Helden waren, hatte Raoul gedacht wie sie. Doch sein Vater hatte ihn von dieser Torheit geheilt. Seine Geschichten vom Heiligen Land handelten nicht von Heldentum und Edelmut, sondern von Dummheit und Barbarei - von Männern, die glaubten, für Christus ins Feld zu ziehen, und nicht begreifen wollten, dass sie ihr Blut vergossen, damit ihre Fürsten, die Seerepubliken und die Templer immer reicher wurden.
Auf der Davidsstraße, die die Stadt grob in eine Nord- und eine Südhälfte teilte, schimpfte Battista auf Papst Coelestin, der es versäumt habe, nach dem Fall von Akkon zu einem neuen Kreuzzug aufzurufen. Allmächtiger, wann hört das endlich auf?, dachte Raoul und hörte nicht mehr hin. Stattdessen betrachtete er die Umgebung. Im Gegensatz zu Rom büßte Jerusalem seinen Zauber aus der Nähe besehen nicht ein. Die Stadt steckte so voller Leben, dass Raoul kaum glauben konnte, dass sie vor nicht langer Zeit der Schauplatz unzähliger Grausamkeiten gewesen war. Sogar die Hauptstraßen waren so eng, dass überall
Gedränge herrschte. In unregelmäßigen Abständen waren sie von Bogengängen überdeckt oder von kurzen Treppen unterbrochen. In den Erdgeschossen der Häuser befanden sich Läden, Teestuben, Bäder, Tischlereien und Schmieden. In den Lärm von Hämmern und Sägen mischten sich
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