Der Gesandte des Papstes
schlafen gegangen, abgesehen von den Waffenknechten, die auf den Wehrgängen ihre Runden machten. Ihre Schritte und geflüsterten Gespräche waren die einzigen Geräusche in der nächtlichen Karawanserei.
Während Raoul die Treppe zu ihrer Unterkunft hinaufstieg, dachte er abermals an Jada bint-Ghassan. Dass eine solch kurze Begegnung in den Straßen Jerusalems ausgereicht hatte, ihn viele Stunden zu verwirren, verärgerte ihn ein wenig. Doch er ertappte sich bei dem Gedanken, wie er die Ägypterin wiedersehen könnte.
Schlag sie dir aus dem Kopf. Ein Ritter aus Oberlothringen mit der Tochter eines ägyptischen Edelmanns - eine lächerliche Vorstellung! Außerdem reist du in zwei Tagen ab …
Stimmen aus Battistas Zimmer holten ihn aus seinen Tagträumen.
»… ist unwichtig«, hörte er Gaspare sagen. »Nur eine Beschreibung des Stabes. Seine Eminenz bittet Euch, sie nach dem Lesen zu vernichten.«
»Ich werde sie dennoch sorgfältig lesen«, erwiderte Battistas Stimme. »Es ist nicht ausgeschlossen, dass er etwas übersehen hat.«
Raoul ging näher zur Tür und blieb stehen. Licht fiel durch den Spalt. Er hörte das leise Knistern von Pergament.
»Doch, das ist es.« Wieder Gaspare. »Er hat sie von seinen fähigsten Übersetzern, Exegeten und Kabbalisten prüfen lassen. Wir brauchen den dritten Teil.«
Nach einem Moment des Schweigens fragte der Venezianer: »Wie kann Morra so sicher sein, dass er in Konstantinopel ist?«
»Die Familie des Mannes, der ihm diese Schriftrolle verkaufte, besaß einst die gesamte Vita. Den dritten Teil - den gefährlichsten - nahmen sie zu ihrer Niederlassung in Samarkand mit, weit weg vom römischen Kaiser. Dreihundert Jahre später flohen sie vor den Omajjaden nach Byzanz, wo ihr Besitz vom Kaiser Ostroms eingezogen wurde. Seine Eminenz vermutet, dass der dritte Teil noch immer in den kaiserlichen Archiven ist.«
»Der kaiserliche Palast Konstantinopels wurde im vierten Kreuzzug geplündert«, gab Battista zu bedenken.
»Es handelt sich um eine Schriftrolle wie diese«, sagte Gaspare. »Möglich, dass sie einfach übersehen wurde.«
Battista brachte noch einen Einwand vor, doch Raoul wurde von einem Geräusch aus dem Hof abgelenkt und trat ans Fenster. Im schwachen Fackelschein konnte er gerade noch erkennen, dass einer der Torwachen mit zuckenden Gliedern zu Boden ging. Und aus den Augenwinkeln bemerkte er eine Bewegung auf dem Wehrgang: Ein Helm schimmerte im Mondlicht, eine Klinge blitzte auf. Gestalten löschten die Sterne aus, als sie über die Zinnen kletterten.
Raoul wirbelte zur Tür herum, stieß sie auf und schrie: »Wir werden angegriffen!«
Gaspare sprang von seinem Stuhl auf. »Was? Wer?« Battista hielt sich nicht mit Fragen auf. Er riss einen Vorhang zur Seite, und was er unten auf dem Hof sah, genügte ihm als Antwort.
»Im Schrank sind Waffen«, brüllte er. »Nehmt, was Ihr braucht!« Er raffte das Pergament auf dem Schreibtisch zusammen, warf die Schriftstücke in eine Kiste und ließ den Deckel zufallen.
Währenddessen hatte Raoul die Schranktüren geöffnet. Schwerter und Äxte hingen sorgfältig aufgereiht in dem Gestell. Er griff sich eine Klinge, die seiner eigenen ähnlich war, und eine kürzere für Gaspare. Auf der »Elýsion« hatte der Toskaner erzählt, dass er sich auf den Umgang mit dem Schwert verstünde.
So verwirrt, wie er jetzt im Zimmer stand, wirkte er allerdings nicht im Geringsten kampferfahren. Als Raoul ihm das Schwert hinhielt, starrte er erst einen Moment darauf, bevor er es mit zitternden Händen entgegennahm.
Battista hatte sich mit zwei Äxten bewaffnet und stürmte die Treppe hinunter. Raoul setzte ihm nach. Als er bemerkte, dass Gaspare ihnen nicht folgte, packte er ihn am Arm und zog ihn mit sich. Das endlich löste den Bann, und der Toskaner rannte an seiner Seite die Stufen hinunter.
Eine Tür flog auf, und ein dunkelhäutiger Mann stürzte brüllend herein, eine Fellkappe auf dem verfilzten schwarzen Haar, in der Rechten einen Säbel. Eine von Battistas Äxten wirbelte durch die Luft, durchschlug den Ringelpanzer und drang dem Angreifer in die Brust. Das Brüllen erstarb, als er zusammenbrach.
Mit einem dumpfen Schlag bohrte sich ein Armbrustbolzen zu Raouls Füßen in die Treppe. Er sprang seitlich hinunter, um aus dem Schussfeld zu kommen, das die offene Tür bot. Bevor Battista sie wieder zuwerfen und den schweren Balken vorlegen
konnte, sah Raoul noch, dass es auf dem Hof von Männern wimmelte. Die
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