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Der Gesandte des Papstes

Titel: Der Gesandte des Papstes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Lode
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das Geschrei der Händler und das Blöken der Maultiere. Fliegenschwärme wurden von frischen Melonenhälften, in Honig eingelegten Feigen und getrocknetem Fleisch angezogen. In den Läden schimmerte kunstvoll gearbeiteter Kupfer- und Silberschmuck oder warteten Teppiche mit bunten, verschlungenen Mustern auf Käufer.
    Raoul hatte den Venezianer gebeten, ihn zur Grabeskirche zu führen, die den Ort markierte, an dem Christus ans Kreuz geschlagen und begraben worden war. Jetzt, da die Hitze allmählich erträglich wurde, verließen viele Menschen ihre Häuser und drängten sich vor den Läden und Tavernen, sodass die beiden Männer noch langsamer vorankamen. Arabische Christen, Armenier, Juden und Muslime bewohnten jeweils eigene Viertel und vermieden es, die anderen Viertel zu betreten. Die Davidsstraße war der einzige Ort Jerusalems, an dem sie sich in großer Zahl begegneten.
    Gerade als sie Richtung Norden einbiegen wollten, teilte sich die Menge für eine Sänfte, die von vier massigen Männern getragen wurde. Raoul und Battista traten an den Straßenrand, um die Sänfte vorbeizulassen. Raoul starrte die Träger an, die purpurne Umhänge und Krummschwerter am Gürtel trugen, und vermutete, dass es Eunuchen waren, von denen sein Vater erzählt hatte: Sklaven ohne Zunge und ohne Männlichkeit.
    Plötzlich öffnete sich der goldene Vorhang der Sänfte einen Spalt. Raoul sah das Gesicht einer Frau. Es war ebenmäßig bis zur Vollkommenheit, ungewöhnlich hellhäutig für eine Einheimische und bis zu den Wangenknochen von einem durchscheinenden Schleier bedeckt: ein anmutiges, schönes Gesicht. Silberne Spangen hielten nachtschwarzes Haar zurück. Raoul
hatte mit Dutzenden Frauen das Bett geteilt. Viele davon waren schön gewesen, einige sogar noch schöner als die Fremde in der Sänfte... doch keiner war es gelungen, ihn innerhalb eines Herzschlags so sehr in den Bann zu schlagen wie diese Frau.
    »Wer ist das?«, fragte er, ohne den Blick von der Sänfte zu nehmen.
    Battista unterbrach seine Schimpftirade. »Wieso interessiert Euch das?«, erwiderte er barsch.
    Unter anderen Umständen hätte Raoul dieser Ton in Wut versetzt. Doch jetzt nahm er ihn gar nicht wahr. »Sagt mir ihren Namen.«
    »Jada bint-Ghassan.«
    »Lebt sie in Jerusalem?«
    Battista war anzumerken, dass ihm das Interesse seines Begleiters für eine Muslimin nicht gefiel. »Sie lebt am Hof des Sultans in Kairo. Sie ist eine Sarazenenprinzessin. Vor einigen Tagen kam sie nach Jerusalem, um den Emir zu besuchen.«
    Der Ausdruck in ihren smaragdgrünen Augen war stolz und hochmütig. Doch als der Blick der Ägypterin den seinen traf, flackerte eine Regung darin auf, die Raoul verwirrte. Erschrecken lag darin, Trauer und ein Schmerz, der viel tiefer ging als jedes Gefühl, zu dem er fähig gewesen wäre. Die Frau bemerkte, dass er sie ansah, und zog rasch den Vorhang zu. Unwillkürlich machte Raoul einen Schritt in ihre Richtung. Doch da sah er nur noch das leicht schwankende Dach der Sänfte über den Köpfen der Menge und wie es sich von ihm entfernte.
    Jada bint-Ghassan, hallte es in ihm nach. Ihm schien es, als würde er aus einem Reigen unwirklicher Traumbilder aufwachen.
    »Zur Grabeskirche geht es dort entlang«, schnarrte Battista und marschierte voraus.
     
    Raoul betete in der Annenkirche, der Geißelungskapelle und den anderen Stationen von Jesu Weg zur Kreuzigung, doch es
gelang ihm kaum, innere Ruhe zu finden. Immer wieder tauchte vor seinen Augen ein Gesicht wie aus Alabaster in einer purpurnen Sänfte auf, weshalb er die Worte des Gebets vergaß und erneut beginnen musste.
    Es war bereits Nacht, als sie zur Karawanserei zurückkehrten. Raoul nahm mit Battista und Gaspare ein Mahl ein, dann suchte er das Badehaus auf. Ausgiebig wusch er sich in dem Becken aus rotbraunen Ziegelsteinen und war zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in Askalon frei von Staub, Schmutz und Sand. Auch Gaspare schien von dem Badehaus Gebrauch gemacht zu haben, zumindest deutete sein Geruch darauf hin - besser gesagt, sein nicht vorhandener Geruch. Der Toskaner saß noch bei Battista. Raoul wusste, dass die beiden Männer seine Abwesenheit nutzten, um ungestört über die Schriftrolle und Morras Brief zu reden.
    Raoul trat ins Freie, schlüpfte in seine Sandalen und ging die drei gesprungenen Stufen zum Innenhof hinauf. Am Tor brannten Fackeln, und die Fenster von Battistas Räumen waren erleuchtet; sonst war alles dunkel. Die etwa fünfzehn Bediensteten waren schon

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