Der Gesandte des Papstes
Kardinal Morra kannte einige der Spottlieder aus den Gassen Roms über die unersättliche Fressgier Bonifatius’. Sie waren äußerst treffend. Allerdings würden ihre Sänger sie so bald nicht wieder darbieten. Es sei denn, sie vertrieben sich die Zeit damit, die Lieder den Ratten in ihren Kerkerzellen vorzusingen.
Ein Säulengang umgab den Innenhof des päpstlichen Palasts. Bonifatius saß unter einem goldfarbenen Baldachin und beobachtete die Hinrichtung. Damit er nicht von den Schreien des
Verurteilten belästigt wurde, hatte der Scharfrichter zwei Maßnahmen ergriffen: Zum einen spielten zwei Harfner Lieder des Lieblingsmusikers Bonifatius’, zum anderen war dem Mann die Zunge herausgeschnitten worden. Aber der junge Franzose wäre ohnehin nicht mehr in der Lage gewesen zu schreien, denn er hatte schon vor geraumer Zeit das Bewusstsein verloren. Es wunderte Morra, dass er überhaupt den heutigen Tag erlebt hatte. Vorgestern, gleich nachdem er mit einer Würgeschlinge in der Hand im Gemach des Papstes erwischt worden war, hatte man ihn mit Brandeisen gefoltert. Anders als sein Vorgänger, bei dem schon der Anblick der glühenden Zangen genügt hatte, gestand er erst nach einer Stunde, von König Philipp geschickt worden zu sein. Danach warf man ihn in den Kerker, um ihm am nächsten Morgen alle Knochen zu brechen. Einer von Bonifatius’ Leibärzten hatte den Franzosen die Nacht über am Leben erhalten, sodass er heute zur Erbauung des Heiligen Vaters auf das Rad geflochten werden konnte. Solch eine Konstitution war mehr als erstaunlich. Morra wertete das als ein Zeichen, dass der König von Frankreich bei der Auswahl seiner gedungenen Mörder mehr Sorgfalt walten ließ. Und das war Besorgnis erregend.
Aber er hatte andere Sorgen. Seine Hände befingerten die Nachricht, die ihn vor einer knappen Stunde erreicht hatte, während er unter dem Säulengang voller Ungeduld auf das Ende des Schauspiels wartete. Im Kampf gegen die Ketzer war Morra gezwungen, eng mit der römischen Inquisition zusammenzuarbeiten, wodurch er häufig Zeuge von solchen Dingen wurde. Allerdings hatte er nie gelernt, Gefallen daran zu finden. Was die Qualen aus einem Mann machten, war entwürdigend, und bei dem Gestank von Blut, verbranntem Fleisch und Exkrementen drehte sich ihm der Magen um, obwohl er alles andere als empfindlich war. Als er erfahren hatte, dass der Papst einer Hinrichtung beiwohnte, hatte er deshalb vorgesorgt und sich Duftwasser unter die Nase gerieben. Ein wertvoller Trick, den er von einem Henker der Inquisition gelernt hatte.
Schwert und Feuer - das sind saubere Methoden, dachte er mürrisch. Und obendrein nicht so Zeit raubend.
Der Franzose ließ sich in der Tat Zeit mit dem Sterben. Als der Henker und seine Knechte endlich das große Wagenrad und die Leiche fortschafften, näherte sich Morra dem Baldachin. Damit der unerfreuliche Inhalt der Nachricht nicht auf ihn zurückfiel, hatte er sich seine Worte schon auf dem Weg zum Lateranpalast genau zurechtgelegt. Auch seine Haltung durfte keinerlei Schuldbewusstsein zeigen, daher ging er aufrecht und zügig, aber ohne Eile.
»Heiliger Vater.« Vor dem Lehnstuhl fiel er auf die Knie und küsste den dargebotenen Rubinring. Die Finger rochen nach Bratfett. Also hatte Seine Heiligkeit genascht.
»Giuseppe, mein Freund. Was führt meinen liebsten Kardinal hierher?«
Morra erhob sich. Er war auf dem Rasen stehen geblieben, vor den beiden Stufen zum Säulengang, denn es wäre ungehörig gewesen, wenn er den sitzenden Papst überragt hätte. Bonifatius VIII., der eigentlich Benedetto Caetani hieß, war einst ein gutaussehender Mann gewesen, groß, muskulös, mit feingliedrigen Händen und einem bulligen und dennoch markanten Gesicht. Die Gestalt, die jetzt vor Morra saß, hatte allerdings mit dem stolzen Kardinaldiakon aus seiner Erinnerung kaum etwas gemein. Bonifatius war aufgedunsen und hatte von der Gicht befallene Gelenke, sodass er nur mit der Hilfe zweier Diener gehen konnte. Der Kragen seiner Robe verschwand unter einer Hautfalte, das bartlose Gesicht war bleich und runzelig, und die rote Kappe verbarg die wenigen weißen Haare. Nur die Hände waren seltsamerweise noch genauso zart und schmal wie vor zwanzig Jahren. Im Grunde waren König Philipps Mühen überflüssig: Nicht mehr lange, und Bonifatius starb auch ohne sein Zutun.
Morra schob diesen lästerlichen Gedanken beiseite. »Neuigkeiten von Battista«, sagte er und hob das Pergament hoch. »Leider keine
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