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Der Gesandte des Papstes

Titel: Der Gesandte des Papstes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Lode
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Schriftstücken auf mehrere hundert, wenn nicht sogar tausend. Doch die Art der Aufbewahrung tat ihm in der Seele weh. Durch die winzigen Fenster hoch oben in den Wänden kam nicht nur spärliches Abendlicht, sondern auch Regenwasser. Die Wände waren feucht, und die Prinzipien, nach denen die Bücher und Pergamente geordnet waren, schien nur der Archivar zu verstehen.
    »Hier.« Der junge Byzantiner blieb zwischen einigen Büchertruhen am Ende des Ganges stehen und wirkte hilflos. »Nun ja.
    Eine ganze Menge.« Er sah ibn-Marzuq an und kratzte sich am Nasenflügel. »Ihr müsst wissen, dass sich nicht sehr viele Leute für die alten Griechen interessieren. Möglich, dass sie im Lauf der Jahre ein wenig … durcheinandergeraten sind.«
    Es sah eher danach aus, als hätte sich nie jemand die Mühe gemacht, sie zu ordnen. »Schon gut, ich helfe Euch«, sagte ibn-Marzuq und ging auf die Knie. Bei dem Inhalt der Kisten handelte es sich ausnahmslos um Schriftrollen. Im Licht der Öllampe nahmen er und der Archivar eine nach der anderen heraus und legten sie auf den Boden. Manche waren feucht und stanken nach Schimmelpilz, andere waren so brüchig, dass sie bei Berührung fast zerfielen. Insgesamt waren es fünfundsechzig Rollen.
    Der dritte Teil der Vita war nicht unter ihnen.
    »Das kann nicht sein«, murmelte ibn-Marzuq. Er sah sich noch einmal alle Rollen an, auch jene, die sie aussortiert hatten, weil sie weitgehend unleserlich waren. Aber er fand sie nicht.
    »Seid Ihr sicher, dass ein dritter Teil überhaupt existiert?«, fragte der Archivar. Er hatte sich auf eine umgedrehte Kiste gesetzt.
    »Vollkommen«, antwortete ibn-Marzuq und dachte: Bei solchen Dingen macht Rom keine Fehler. »Könnte sie in einem anderen Teil des Gewölbes sein? In einem der Regale?«
    Der Junge blickte auf seine Liste. »Nein, ausgeschlossen. Vorne sind die Hebräer, die Araber und die neueren Schriften. Auf der anderen Seite nur Lateiner. Alle sechs Monate überprüfe ich die Bestände. Ein falsch zugeordnetes Schriftstück wäre mir aufgefallen.«
    Ibn-Marzuq holte einen Dirham aus den Falten seines Gewandes. Er hatte schon so viel Silber gelassen, um in den Palast hineinzukommen, da kam es auf eine Münze mehr wahrlich nicht an. »Schaut Euch alles noch einmal gründlich an. Das Schriftstück muss hier sein.«
    Das Angebot schien den Archivar ernstlich zu kränken,
denn er rührte die Münze nicht an. »Ich sagte Euch doch, es kann nicht sein. Wenn sie nicht in diesen Kisten ist, ist sie nirgendwo.«
    Ibn-Marzuq sah ein, dass es aussichtslos war, und steckte den Dirham wieder ein. Ächzend erhob er sich vom schmutzigen Boden. Also musste er wohl oder übel alles selbst durchsuchen, auch wenn es einen halben Tag dauerte - und den Jungen beleidigte.
    Der Archivar nahm seine Lampe und stand ebenfalls auf. »Wahrscheinlich haben die Kreuzfahrer sie mitgenommen, wie fast alles hier. Bevor sie gekommen sind, war das kaiserliche Archiv dreimal so groß. Oder sie wurde vor der Plünderung fortgebracht.«
    »Fortgebracht? Was heißt das?«
    »Es gibt da eine alte Geschichte. Der damalige Archivar ahnte, was geschehen würde, und ließ die wertvollsten Schriftstücke zu einem geheimen Ort bringen. Leider fing er zu spät damit an. Als der Blachernenpalast von den Kreuzrittern beschossen wurde, starb er im Feuer, bevor auch nur ein Viertel der Schriften in Sicherheit war.« Der Junge zuckte mit den Schultern und machte sich daran, die Pergamentrollen wieder in die Kisten einzuräumen.
    Ibn-Marzuq legte ihm die Hand auf die Schulter. »Wo ist dieser Ort?«
    »Weiß ich nicht. Wahrscheinlich ist an der Geschichte sowieso nichts dran.«
    »Hat niemand je versucht, ihn zu finden?«
    »Heiliger Johannes, glaubt Ihr, der Basileus hat keine anderen Sorgen als alte Bücher? Vielleicht der Patriarch. Aber dieser Geizhals würde sich eher die rechte Hand abhacken, als andere an einem solchen Schatz teilhaben zu lassen.« Der Junge musterte ibn-Marzuqs Gesicht, seinen Bart, sein Gewand. »Und einen Sarazenen schon gar nicht.«
    Kurz darauf stand Harun ibn-Marzuq wieder vor den Toren
des Kaiserpalasts und nahm einige tiefe Atemzüge. Nach dem Aufenthalt in den muffigen Gewölben tat die vom Regen gereinigte Abendluft gut. Er war so müde wie zuletzt in Jaffa, als sie nach dem Gewaltritt vom Jordantal endlich das Schiff bestiegen hatten. Die ganzen Anstrengungen waren umsonst gewesen, von den Kosten ganz zu schweigen, und ibn-Marzuq fragte sich, ob er nicht

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