Der Gesandte des Papstes
Er entzündete eine der Fackeln und folgte den Säulen entlang des Simses. Kühle Luft lag auf seinem Gesicht. Nach wenigen Schritten erreichten er und seine Gefährten einen Schutthaufen, der sich über eine Mannslänge vor ihm auftürmte. Die Trümmer quollen aus einem breiten Riss in der Wand hervor, der offenbar durch eines der Erdbeben entstanden war, die Michele erwähnt hatte, denn das Mauerwerk war an dieser Stelle verschoben. Oberhalb der Halde klaffte ein Loch.
»Das ist es!«, sagte Michele. »Der alte Versorgungstunnel unter der Straße!«
Vorsichtig, um das Geröll nicht ins Rutschen zu bringen, machte sich Raoul an den Aufstieg. Oben erwartete ihn ein weiterer Tunnel - ein altes Wasserrohr. Er nahm ihre Armbrüste entgegen, die Battista neu gespannt und geladen hatte, und wartete, bis die anderen zu ihm aufgeschlossen hatten.
Raoul hatte sich gefragt, warum niemand außer Rovelli den Weg zum Hundsturm kannte. Der Zugang lag zwar in einer verlassenen, verfallenen Gegend, aber er war nicht so gut versteckt, dass er nicht zufällig entdeckt werden könnte. Nach wenigen Schritten durch das gewaltige Rohr fand er die Antwort: Der Boden brach scharf ab, und eine schwarze Spalte tat sich vor ihm auf. Sie war acht Ellen breit - kein Hindernis für einen geübten Springer, doch in dem Wasserrohr war kein Anlauf möglich. Die Söldner hatten einen Balken herbeigeschafft und darübergelegt. Raoul prüfte ihn mit dem Fuß. Er lag fest auf. Die Spalte musste tief sein, denn als er mit der Fackel hineinleuchtete, blieb der Abgrund dunkel.
Er blickte in die Gesichter seiner Gefährten und sah unverminderte Entschlossenheit bei Battista, Skepsis bei Gaspare und mühsam unterdrücktes Entsetzen bei Michele. Dann setzte er einen Fuß auf den Balken, verbot sich jeden Gedanken an einen möglichen Absturz und schritt schwankend auf die andere Seite. Battista folgte ihm ohne zu zögern. Gaspare bekreuzigte sich, dann überquerte auch er die Kluft. Rovellis Diener haderte lange mit sich, bevor er den Mut aufbrachte, sein Leben dem Balken anzuvertrauen. Quälend langsam und mit ausgebreiteten Armen legte er Elle um Elle zurück, bis er schließlich mit schweißnassem Gesicht auf der anderen Seite ankam.
Battista war währenddessen bereits weitergegangen, bis das Wasserrohr eine Biegung nach links machte. Raoul trat mit der Fackel zu ihm und schaute vorsichtig um die Kurve. Zehn Schritte vor ihnen befand sich ein seitlicher Durchbruch.
Rötliches Fackellicht war darin zu sehen - und der zuckende Schatten eines Dämons.
In dem Dominikanerkloster, in dem sich Matteo zwei Jahre lang redlich bemüht hatte, ein guter Novize zu sein, gab es ein Bild von der Hölle. Es zierte die Kuppeldecke eines kleinen Gebetsschreins neben dem Skriptorium und war vor achtzig
Jahren von einem Pisaner Maler angefertigt worden, aus Dankbarkeit, dass die Mönche ihm Unterschlupf vor seinen Gläubigern gewährten. Die Mönche mieden den Schrein, denn das Bild jagte ihnen gehörig Angst ein; lediglich Bruder Alfredo, der Novizenmeister, hatte Verwendung für die düstere Kammer: Wenn er einen seiner Schützlinge einer Sünde überführte, zerrte er den Jungen am Ohr über den Klosterhof, zwang ihn unter dem Gemälde auf die Knie und führte aufs Genaueste aus, welche Höllenpein dieses oder jenes Vergehen nach sich zog. Um seine Worte zu bekräftigen nahm er das Bild zu Hilfe. Brotdiebe mussten damit rechnen, gemeinsam mit anderen Sündern von einem froschgesichtigen Dämon in einem gewaltigen Kessel gekocht zu werden. Wer die Komplet durch sein Schwatzen störte, dem riss ein Fischmann mit der Zange die Zunge heraus. Am schlimmsten traf es jene, die des Nachts mit der Hand unter der Bettdecke erwischt wurden: Sie wurden aufs Rad geflochten und über einem lodernden Schlund von gehörnten und geflügelten Gestalten mit glühenden Eisen und flammenden Peitschen gepeinigt.
Matteo kniete häufig unter dem Bild. Die Anlässe waren immer die gleichen: freche Bemerkungen, unerlaubtes Entfernen vom Klosterhof, Ungehorsam gegenüber dem Abt. Als Strafen sah die Hölle laut Bruder Alfredo dafür vor: ein Bad in einem schwefligen, kochenden Pfuhl, das Zerquetschen der Hand zwischen höllischen Mühlrädern oder das Aufschlitzen des Bauchs durch ein gezacktes Messer in den Klauen eines schrumpeligen alten Weibs mit Hühnerkopf. Die Aussicht auf diese Folterqualen hatte nicht dazu geführt, Matteo Demut und Respekt zu lehren, aber sie hatte ihm dennoch
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