Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
und der Totgesagte konnte der weltweiten Sympathie sicher sein, als er vor den Kameras erklärte: »Wir wollen den Frieden, und sie wollen den Krieg.«
Was war geschehen?
Den Abend davor hatte Arafat in der Stadt in der Gesellschaft von Freunden verbracht, zu denen auch der palästinensische Dichter Mahmud Darwisch gehörte. Am nächsten Tag sollte er in einem Hotel in Tunis an einem Schriftstellerkongress teilnehmen, und für Arafat, der der Literatur großen Wert beimaß und gern Gedichte rezitierte, gab es noch viel zu besprechen. Es war spät geworden, und Arafat wollte sich nach Hammam asch Schatt zurückfahren lassen. Beim Abschied rieten ihm seine Freunde davon ab – am nächsten Vormittag habe er ohnehin wieder in der Stadt zu tun, er solle lieber bei Abu Dschihad übernachten, dessen Villa in der Nähe liege. Arafat überlegte – er fühlte sich in der Gesellschaft von Schriftstellern immer besonders wohl und wollte zu ihrem Kongress ausgeschlafen erscheinen – und gab seinem Fahrer die Anweisung, unter diesen besonderen Umständen zu Abu Dschihad zu fahren. Ganz gegen seine Gewohnheit hatte er also nicht in seinem Hauptquartier übernachtet, als die israelischen F 16 kamen.
Einen Tag nach dem missglückten Anschlag flog ich nach Tunis und suchte Arafat auf. Wir umarmten uns so fest und herzlich wie noch nie. Ich musste mich davon überzeugen, einen Menschen aus Fleisch und Blut und keinen Geist vor mir zu haben. Diese erste Begegnung mit ihm, nachdem er in allen Nachrichten für tot erklärt worden war, gehört zu den schönsten Momenten meines Lebens.
Arafat ging sofort wieder an die Arbeit und nahm gleichzeitig Glückwünsche aus aller Welt entgegen. Auch denen, die Arafat nicht besonders schätzten, war in den Stunden der
Ungewissheit klargeworden, dass sein Tod für den Nahen Osten eine Katastrophe bedeutet hätte. Arafat selbst hingegen schien den Israelis diese ständigen Mordversuche keineswegs zu verübeln. Über ihren letzten Fehlschlag lachte er wie über einen ausgezeichneten Witz. Für ihn gehörte es offenbar dazu, dieses Katz-und-Maus-Spiel zwischen ihm und ihnen. Mittlerweile hatten die Israelis allerdings so ziemlich jede Methode ausprobiert, ihn aus der Welt zu schaffen, auch Gift. Einmal schleusten sie einen Koch in seinen Haushalt ein, der sich nach dem ersten – erfolglosen – Giftanschlag Arafat offenbarte. Der entließ ihn zwar, warf ihn jedoch nicht ins Gefängnis, sondern ließ ihn einfach laufen und sorgte später dafür, dass die Kinder dieses Mannes studieren konnten. Zeitlebens war er wie ein zweiter Vater zu ihnen. Ob seine Motive edel waren oder nicht, Arafat ließ jedenfalls selten eine Gelegenheit zu Wohltaten verstreichen. US-Präsident Ronald Reagan übrigens bezeichnete den israelischen Angriff auf Arafats Hauptquartier als »gerechtfertigten Gegenschlag« – eine Standardformulierung, die aus amerikanischer Sicht auf Militäraktionen der Israelis grundsätzlich zutraf. Worauf die Israelis mit solchen Gegenschlägen reagierten, war inzwischen schon völlig gleichgültig.
Ein palästinensischer Staat, der uns zehn Jahre zuvor zum Greifen nah erschienen war, rückte Mitte der 80er-Jahre in immer weitere Ferne. Syrien bekämpfte die PLO weiterhin erbittert (Assad nannte Arafat eine »Ratte«), und die Israelis erließen 1986 sogar eine Art Kontaktsperregesetz, dass israelischen Staatsbürgern jegliche Begegnung mit PLO-Vertretern bei Gefängnisstrafe untersagte. Und ich baute in Deutschland zwei Häuser, jedes in gewisser Weise eine Reaktion auf die verhärteten Fronten im Nahen Osten: Bereits 1982 entstand das erste PLO-Bürohaus Europas, 500 Meter Luftlinie vom Bundeskanzleramt entfernt in der August-Bier-Straße, gedacht als künftige Botschaft Palästinas in Bonn – ein Hoffnungszeichen
in Zeiten der Bedrängnis. Und drei Jahre später bezog ich mit meiner Familie unser neues Domizil in Meckenheim in der Voreifel, groß genug bemessen, um je nach Wetter siebzig bis hundert Gäste empfangen zu können – in der zutreffenden Annahme, dass es in Deutschland auf unabsehbare Zeit noch viel zu tun gäbe, bevor mit der Gründung eines Staates Palästina auch an eine Rückkehr in die Heimat zu denken wäre.
Das Bürohaus in Bonn war ein Schmuckstück mit Schlafzimmern für Gäste und Leibwächter im vierten Stock, so gediegen möbliert, dass die Treffen der Arabischen Liga fortan oft bei uns stattfanden. Nach der Unterzeichnung des Oslo-Abkommens haben wir
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