Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
mancher andere fand auch er, dass Arafat in letzter Zeit mehr Zugeständnisse als nötig machte. Wieder einmal war es Abu Iyad, der sich dazwischenwarf und Arafats Kritiker beschwichtigte, indem er auf ihre Bedenken einging, ohne ihre Meinung tatsächlich zu teilen. Im Grunde war auch im Zentralkomitee jedem klar, dass wir nie an einem Verhandlungstisch sitzen würden, solange wir Israel nicht anerkannten – die Frage war nur, wie viele Trümpfe wir vorher aus der Hand geben wollten. Doch handelte es sich hier um strategische Überlegungen, die nichts an der Tatsache änderten, dass 1989 ein altes Kapitel abgeschlossen und ein neues aufgeschlagen wurde.
Ich muss an dieser Stelle eine Erklärung einflechten: Die Auflösung des Staates Israel war nie im Sinne einer Bedrohung der Bevölkerung Israels gemeint gewesen. Es ging niemals darum, Israelis zu massakrieren oder einen Massenmord zu inszenieren. Dieser Klausel lag die Absicht zugrunde, einen Staat aufzuheben, der aus palästinensischer Perspektive unrechtmäßig war, und durch einen neu zu schaffenden Staat für alle, Juden, Christen wie Muslime, zu ersetzen. Shukeiri vertrat eine Extremposition, wenn er verlangte, dass alle Juden, die nach 1948 ins Land gekommen waren, in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden sollten. Aber nicht einmal diese Extremposition sah die Vernichtung des israelischen Volkes vor, wie es die israelische Propaganda der Welt weismachen will. Bis heute gibt es Palästinenser, die die Forderung Shukeiris wiederholen, aber sie haben keinen Einfluss auf die palästinensische Politik.
Einen Tod habe ich nachzutragen. Den Tod meines Vaters. Er war 1987 in Gaza gestorben, ohne dass es mir möglich gewesen wäre, ihn noch einmal zu sehen, denn PLO-Mitgliedern verwehrten die Israelis die Einreise. Aber zwei Tage vor
seinem Tod hatten wir lange miteinander telefoniert, und das Bild des alten Mannes in seinem Bett hatte während unseres Gesprächs vor meinen Augen gestanden . »Pass gut auf dich auf«, hatte er gesagt. »Ich verlasse mich auf dich.« Und dann: »Der Tod findet jeden, egal, wo er ist.«
Erst kürzlich ist mir die Todesanzeige meines Vaters in der Zeitung Al-Quds vom 2. März 1987 wieder in die Hände gefallen. Der Text neben dem gerasterten Porträtfoto meines Vaters, das ihn in seinen besten Jahren zeigt, lautet:
»Ein Scheich vom Stamm der Tayaha.
Die Angehörigen dieses Stammes aus Berscheeva, Gaza, Jordanien, Ägypten und die im Ausland Lebenden nehmen mit Betrübnis zur Kenntnis, dass Scheich Hassan Juma al-Frangi, der Scheich von al Hukuk, Mitglied des höchsten Rates der Stämme und Mitglied der palästinensischen Delegation bei der Gründungsfeier der Arabischen Liga in Kairo 1945, am Samstag, dem 28.Februar 1987, im Alter von 80 Jahren verstarb. Er hat ein Leben im Gehorsam gegen Gott und als Wohltäter seiner Familie, seines Stammes und aller Söhne Palästinas geführt. Scheich Hassan wurde in Gaza zu seiner letzten Ruhe gebettet.«
Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass mein Vater an den Feierlichkeiten zur Gründung der Arabischen Liga teilgenommen hatte.
Arafat heiratet
Irgendwann Mitte der 80er-Jahre, als die deutsche Einheit undenkbar erschien, saß ich in einer kleinen Runde, der auch die ägyptische Botschafterin in Bonn angehörte. Im Gespräch berührten wir das Thema der Wiedervereinigung, hätten aber sicherlich nicht lange dabei verweilt, wenn die Ägypterin das Stichwort nicht aufgegriffen hätte. Die Einheit werde kommen, versicherte sie, weil es jeder historischen Wahrscheinlichkeit widerspreche, dass Deutschland in alle Ewigkeit geteilt bleibe. »Allerdings«, schränkte sie ein, »haben hier die Großmächte ein Wort mitzureden, und vor allem England und Frankreich werden nicht begeistert sein.« Dennoch zweifelte sie nicht, die deutsche Einheit zu erleben. Ich sah es damals anders, ich war nicht davon überzeugt, aber diese Frau war Historikerin und führte einige Beispiele aus der Geschichte an, aus denen sie entsprechende Schlüsse für die Gegenwart zog und die Zwangsläufigkeit der deutschen Wiedervereinigung ableitete.
An dieses Gespräch musste ich denken, als mich die Nachricht vom Mauerfall erreichte. Ich befand mich auf einem Empfang des Bonner Polizeipräsidenten Dirk Schnitzler, der für den Abend des 9. November 1989 all jene Diplomaten eingeladen hatte, die als gefährdet galten und deshalb Anspruch auf Begleitschutz hatten. Als er uns über die Vorgänge in Berlin
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