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Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Titel: Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdallah Frangi
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Mann, lag schlafend im Auto. Sie töteten ihn mit einem Schuss, genauso wie den Gärtner, der sich um diese Zeit noch draußen zu schaffen machte. Da die Mörder Schalldämpfer benutzten, bekam man von diesen Vorgängen im Haus nichts mit, wo Abu Dschihad noch zu später Stunde am Schreibtisch saß und ein Kommuniqué ausarbeitete. Als er Geräusche im Flur hörte, war es bereits zu spät; ihm blieb gerade noch Zeit, zur Pistole zu greifen, dann standen die vier Männer in der Tür, feuerten auf ihn – und entluden ihre Magazine bis auf die letzte Kugel in den Toten. Wie im Fall der Attentate Abu Nidals erfüllten die Morde der Israelis ihren Zweck oft erst dann, wenn die Tat auch Zeugnis von dem grenzenlosen Hass ablegte, der die Mörder erfüllte. Siebzig Kugeln fanden sich im Leichnam von Abu Dschihad.
    Die Männer verschwanden unbemerkt, wie sie gekommen waren. Es war ein leichter Mord gewesen – die Straßen von Tunis waren um diese Zeit wie ausgestorben, und Abu Dschihad hatte keine Vorkehrungen für seine Sicherheit getroffen. Wie wir heute wissen, führte Ehud Barak auch bei diesem Mord die Regie. Derselbe, der hinter den meisten spektakulären Mordaktionen der Israelis stand, derselbe, der im Jahr 2000 als israelischer Ministerpräsident Ariel Scharon die Genehmigung erteilte, den Tempelberg zu besuchen, was die Zweite Intifada auslöste. Vielleicht empfanden die Mörder selbst gar keinen Hass. Vielleicht war es nur der geballte Hass von Ehud Barak, der sich in den schauerlichen Umständen eines solchen Mordes entlud.
    Ich trauerte um meine Mutter, die in diesen Tagen starb, ohne dass ich sie noch einmal gesehen hätte. Und ich trauerte
um einen Freund, einen Bruder, einen Weggefährten, der mich fast mein ganzes Leben lang begleitet hatte. In seinem Schatten war ich großgeworden, er hatte mir in frühen Jahren die Augen für meine politische Verantwortung geöffnet. Einen Monat vor seinem Tod hatte er mich in Tunis zum Essen eingeladen. Ausnahmsweise waren wir einmal unter uns, offenbar wollte er niemanden sonst dabeihaben. Er war bedrückt. Er haderte mit den Führern der arabischen Länder, die sich mit der Unterstützung des Aufstands in den besetzten Gebieten sehr zurückhielten, er grollte aber auch Arafat, der nach seinem Dafürhalten in letzter Zeit zu sanft auftrat, zu sehr als Politiker dachte, zu wenig als Kämpfer handelte. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten unsere jungen Leute nicht bloß ihre Knochen hingehalten, um sie von israelischen Soldaten zerschlagen zu lassen. Abu Dschihad war nie der Mann gewesen, der mit sorgenvollem Gesicht herumgelaufen wäre, aber an diesem Abend brauchte er wohl jemanden, dem er sein Herz ausschütten konnte. Er war enttäuscht.
    Für die Palästinenser wie für Arafat bedeutete sein Tod einen großen Verlust. Mit seiner Dynamik hatte Abu Dschihad vieles in Schwung gehalten. Auf die Nachricht von seiner Ermordung hin brach in den besetzten Gebieten die Hölle los. Wer einen Stein zu fassen bekam, schleuderte ihn auf die israelischen Soldaten, die mit scharfer Munition zurückschossen  – hundertzweiundvierzig Palästinenser verloren in diesen Tagen ihr Leben. Abu Dschihads Leichnam wurde unterdessen auf dem Märtyrerfriedhof von Damaskus beigesetzt. Hunderttausende folgten seinem Sarg, und als Arafat drei Tage später in der syrischen Hauptstadt eintraf, um seinem toten Freund die letzte Ehre zu erweisen, bereiteten die Syrer ihm einen jubelnden Empfang; sein Wagen wurde in die Höhe gehoben und von der begeisterten Menge ein Stück weit getragen. Am nächsten Tag kam es zu einer vierstündigen Unterredung
zwischen Arafat und Präsident Assad, und von da an herrschte ein »kalter Frieden« zwischen Syrien und den Palästinensern.
    Der Mord an Abu Dschihad war für uns ein schwerer Schlag. Eine der beiden Säulen der Fatah war weggebrochen. Aber die Handlungsfähigkeit der PLO gefährdete sein Tod nicht. Niemand hinderte die PLO, auch weiterhin die großen Linien der palästinensischen Politik zu bestimmen. Erst der – insbesondere von Rabin betriebene – Versuch, das Erstarken einer Gegenkraft zur PLO zu fördern, sollte ihre Handlungsfähigkeit mit der Zeit ernsthaft bedrohen. Diese Chance zur Spaltung der Palästinenser ergab sich 1987, als die Hamas bei der israelischen Regierung die Genehmigung zum Bau sozialer Einrichtungen im Gazastreifen beantragte. Im Sinne des alten römischen Grundsatzes »teile und herrsche« gab Rabin diesem Antrag

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