Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
wären die Israelis in diesem Jahr den PLO-Führer ganz ohne eigenes Zutun losgeworden. Am 7. April 1992 geriet Arafats Flugzeug nämlich auf dem Weg von Khartum nach Tunis in einen ungewöhnlich starken Sandsturm, musste in der libyschen Wüste notlanden und prallte in eine Sanddüne. Aufklärungsflugzeuge entdeckten die gestrandete Maschine erst fünfzehn Stunden später an der Grenze zum Tschad. Die beiden Piloten und ein Techniker waren tot, doch Arafat und seine Begleiter hatten überlebt. Arafat war sogar mit relativ leichten Verletzungen davongekommen – beim Aufprall war er aus dem Flugzeug geschleudert worden.
Während Arafat in ein Krankenhaus nach Tripolis gebracht wurde, ging, wie schon so manches Mal, die Nachricht um die Welt, dass er wider Erwarten am Leben sei. Uns fiel ein Stein vom Herzen. Die Stunden zuvor hatte im Zentralkomitee helle Aufregung geherrscht, erstmals hatten wir fast einen Tag lang mit seinem Tod rechnen müssen, und jedem war in den bangen Stunden der Ungewissheit bewusst geworden, dass Arafat nicht zu ersetzen wäre. Als ich ihn im Krankenhaus
besuchte, wehrte er sich ausnahmsweise gegen eine Umarmung. Er hatte zwar keine Knochenbrüche erlitten, aber jede Menge Prellungen, die bekanntlich besonders schmerzhaft sind.
Wischnewski setzte seine diplomatischen Bemühungen nach dem Scheitern der Madrider Konferenz fort und flog nach Israel, wo er von Peres und Rabin empfangen wurde, der Schamir als Ministerpräsident abgelöst hatte. Nach seiner Rückkehr warnte mich Wischnewski: »Ich habe das Gefühl, dass Rabin daran denkt, mit den Syrern Verhandlungen aufzunehmen. Peres dagegen scheint weiterhin Gespräche mit den Palästinensern vorzuziehen. Ich habe dafür plädiert, mit euch zu sprechen, weil Arafat die Schlüsselfigur für alle Entwicklungen in der Region ist. Sollte es zu einem Abkommen mit Syrien kommen, wird das eure Position schwächen.«
Wie es aussah, hatte sich Rabin also etwas Neues einfallen lassen, um Arafat auszuschalten; offenbar sollten jetzt die Syrer als zweite Führungsmacht des Nahen Ostens durch ein separates Friedensabkommen genauso neutralisiert werden wie zuvor die Ägypter. Das verhieß für die Zukunft nichts Gutes. Ich jedenfalls versprach mir damals von dem neuen israelischen Ministerpräsidenten keinerlei Fortschritt für den Friedensprozess – Rabin, der unter den Palästinensern nur »der Knochenbrecher« hieß, umgab nach meinem Empfinden eine Aura der Brutalität. Später, nach der Unterzeichnung des Oslo-Abkommens, bin ich ihm einmal begegnet und fand es nach wie vor unbegreiflich, dass ausgerechnet dieser Mann uns das Tor zu Palästina aufgestoßen hatte. Er machte an jenem Abend keinen Hehl aus seiner Verachtung für Arafat, ließ seinen Launen freien Lauf und kehrte bei jeder Gelegenheit den überheblichen Israeli heraus. 1992 wies jedenfalls noch nichts auf seine Wende vom rücksichtslosen Militär zum Vorkämpfer einer Verständigung zwischen Palästinensern und Israelis hin.
Ich kann mir vorstellen, dass es für diesen Sinneswandel zwei Gründe gab. Erstens: Rabin war mit seinem Latein am Ende. Er hatte alles versucht. Er hatte es mit der Hamas versucht – und nicht geschafft. Er hatte es mit den israelfreundlichen Bürgermeistern im Westjordanland versucht – und nicht geschafft. Er hatte versucht, die PLO an der Teilnahme in Madrid zu hindern – und war auch damit gescheitert. Und schließlich hatte er versucht, die Syrer durch ein Separatabkommen nach ägyptischem Vorbild zu einer noch härteren Haltung gegenüber der PLO zu bewegen – und war auch damit nicht weitergekommen, weil die Syrer zu hohe Forderungen stellten. Gut möglich, dass das Repertoire seiner strategischen Schachzüge damit erschöpft war.
Und zweitens: Die internationale Entwicklung könnte die Israelis zu einem Kurswechsel gezwungen haben, denn die Zwei-Staaten-Lösung wurde mittlerweile von allen sozialistischen Parteien weltweit gefordert. Die Sozialistische Internationale bestand auf einem Dialog zwischen Israel und der PLO, der Generalsekretär der Sozialisten, der Chilene Luis Ayala, wirkte während seiner gesamten Amtszeit auf diesen Dialog hin, und selbst der französische Staatspräsident Mitterrand forderte die Israelis auf, Arafat endlich als Gesprächspartner anzuerkennen. Mit anderen Worten: Israel stand 1992 zum ersten Mal in seiner Geschichte unter dem moralischen Druck der Weltöffentlichkeit.
Was auch immer den Ausschlag gegeben
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