Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
Wohltaten, ließ seiner Großzügigkeit aber auch ohne jedes Kalkül freien Lauf. Eine Unterschrift von ihm, und wieder war jemandem geholfen – ob es einen Würdigen oder Unwürdigen traf, spielte oft keine Rolle. Es war in der Tat unbestreitbar: Hätte eine Familie in Not den Rechtsweg eingeschlagen, hätte sie sich auf den verschlungenen Pfaden der Verwaltung wahrscheinlich verirrt. Deshalb fragte
Arafat nicht lange nach einem Rechtsanspruch auf Unterstützung oder einem dafür vorgesehenen Budget, er unterschrieb einfach den nächsten Scheck, wenn ihm die Notlage eines Menschen glaubhaft erschien. Aus der Vielzahl der Fälle sei hier eine Episode aus dem Jahr 1999 herausgegriffen.
Schon mehrmals hatte ich Menschen mit Arafats Hilfe zur medizinischen Versorgung nach Deutschland geholt, Kinder und Jugendliche mit schwersten Verletzungen als Folge israelischer Bombardierungen. Keiner dieser Fälle war über den Schreibtisch des Gesundheitsministers gelaufen, alles hatte Arafat mit seiner Unterschrift geregelt. Eines Tages – ich hielt mich gerade in unserem Haus in Gaza auf – kam mein Bruder zu mir. »Wir haben einen Gast«, sagte er mit jenem Schmunzeln, das er immer aufsetzte, wenn etwas Merkwürdiges vorgefallen war. »Er möchte in Deutschland behandelt werden.« – »Was fehlt ihm denn?«, wollte ich wissen. »Das fragst du ihn lieber selbst«, antwortete er, immer noch verschmitzt lächelnd.
Es war ein junger Mann. Ich setzte mich zu ihm. »Du bist mein Bruder«, hob er an. »Überall wirst du gelobt, und deine Mildtätigkeit ist weithin bekannnt …« Nun gut, also? Aber er rückte nicht mit der Sprache heraus. Es dauerte eine Weile, bis er mir zögernd eröffnete, dass er im Gefängnis gewesen sei, wo ihn die Israelis durch Stockschläge auf sein Geschlechtsteil gefoltert hätten. Nach seiner Freilassung habe er geheiratet und feststellen müssen, dass seine Manneskraft versiegt sei. Während er mir das gestand, wand er sich in Krämpfen, so peinlich war ihm die Geschichte, aber er ging fest davon aus, dass ich ihm helfen könnte. Ich erklärte mich bereit, ihm einen deutschen Arzt zu vermitteln, wenn er die Kosten aufbrächte. Er sei völlig mittellos, entgegnete er. Es blieb also nur, uns an Arafat zu wenden.
Wir gingen hin. Ich nahm Arafat beiseite und erklärte ihm den Fall, und als wir zurückkamen, klopfte Arafat ihm auf die
Schulter und sagte: »Du gehst mit Abdallah nach Deutschland.« Der Ärmste war außer sich vor Freude, und Arafat überwies mir 16 000 Dollar auf das Konto meines Bonner Büros. In Deutschland schickte ich den Mann zu einem befreundeten syrischen Arzt nach Hannover. Zwei Tage später läutete bei mir das Telefon. Es war der Arzt. »Glück gehabt«, sagte er hörbar vergnügt. »Er ist auferstanden!« – »Wie hast du das so schnell geschafft?«, fragte ich ihn. »Ich habe ihm zwei Viagra-Tabletten gegeben«, lautete die Antwort – in Wirklichkeit rühre sein Problem nämlich nicht von den Folterungen her, sondern von einer quälenden Schüchternheit, die ihn im entscheidenden Augenblick regelmäßig außer Gefecht setze …
Wieder in Bonn, rief der Mann als Erstes seine Frau an und dann Arafat. Der gratulierte und nahm ihm das Versprechen ab, nun eine stattliche Zahl von Knaben und Mädchen in die Welt zu setzen, worauf der junge Mann gelobte, Arafat nicht zu enttäuschen. So weit, so gut. Nur waren da immer noch die 16 000 Dollar, und dieser Mann war bettelarm und wollte Kinder in die Welt setzen. Als sein Gespräch mit Arafat beendet war, übernahm ich den Hörer und schlug Arafat vor, die 16000 Dollar unserem Patienten als Startkapital zu schenken. Für Arafat war das gar keine Frage – selbstverständlich, sagte er, eine gute Investition. Als ich dem Glücklichen das Geld aushändigte, stiegen ihm Tränen in die Augen.
So lief es in Hunderten von Fällen. Auf diese Weise hat Arafat schätzungsweise 35 Millionen Dollar zugunsten bedürftiger Palästinenser ausgegeben. Diejenigen, die ihn später dafür kritisierten, ließen außer Acht, dass seine Großzügigkeit für viele die letzte Rettung war. Das Budget, aus dem Arafat schöpfte, war für niemanden sonst zugänglich. Dieses Geld stammte auch nicht von den Geberländern. Arafat verfügte über einen eigenen Etat, der aus Steuergeldern gespeist wurde. Die Unterstützungsfonds der Geberländer hat er nie angetastet – die mit diesen Fonds bestrittenen Ausgaben wurden
ohnehin von der Weltbank und den
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