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Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Titel: Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdallah Frangi
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Geberländern überwacht.
    Unklugerweise war Arafat auch in anderen Fällen spendabel. Seine Tür stand jedem jederzeit offen, und wenn irgendein Bezirksvertreter finanziell in Schwierigkeiten war, wandte er sich ebenfalls direkt an Arafat. Man kannte seine Schwäche, er sprang gern ein, er war mit Hilfe schnell bei der Hand, und das wurde von vielen ausgenutzt, auch von Leuten, die es weder verdient noch nötig hatten. Das Resultat waren anhaltende und keineswegs gegenstandslose Gerüchte über die Korruption der palästinensischen Autonomieverwaltung. Wie oft habe ich in Deutschland zu diesem Thema in Interviews Stellung nehmen müssen! Aber es war ja etwas dran. Insbesondere jene, die sich das Monopol für Zigaretten, Benzin, Zement und Kies verschafft hatten, verstanden sich zu bereichern. Und diese Leute wären natürlich nie so weit gekommen, hätte Arafat nicht seine Hand über sie gehalten. Kein Zweifel – sein Patronagesystem war kritikwürdig.
    Fragwürdig war allerdings auch die Rolle diverser Nichtregierungsorganistationen (NGOs). Denn durch die NGOs versuchten die Geberländer, Einfluss auf das innere Gefüge unserer Institutionen zu nehmen. Die NGOs saßen dabei oft am längeren Hebel, weil sie über beträchtliche Geldmittel verfügten und viel größere Erfahrung als wir besaßen; bald traten sie als die eigentlichen Experten auf, mischten sich auch in institutionelle Fragen ein und gerieten irgendwann mit der Regierung in Konflikt. Die NGOs hatten in den europäischen Hauptstädten Zugang zu allen Ministerien, wurden aber weder von unserer Seite noch von den Geldgebern kontrolliert oder zur Rechenschaft gezogen – ein Unding.
    Was die Anfangsphase der Autonomie betrifft, ergab sich also folgendes Bild: Wir hatten Leute, die acht, fünfzehn, zwanzig Jahre im Gefängnis gesessen hatten, zwar verdiente Kämpfer, doch als Verwaltungskräfte hoffnungslos überfordert.
Wir hatten Arafat, der überall mitreden wollte und sein Regierungssystem auf persönlicher Loyalität begründete. Wir hatten Ministerialdirigenten, die von ihrem Job deutlich weniger verstanden als ihre Untergebenen. Und wir hatten NGOs, die sich als eine Art Ersatzregierung aufführten. Mit anderen Worten: Es fehlte allenthalben an Kontrolle, an Koordination, an Erfahrung.
    Natürlich darf man nicht vergessen, wie groß die objektiven Schwierigkeiten waren. Man bedenke nur, welchen Verwandlungsprozess die Fatah in vier Jahrzehnten durchlaufen hatte – aus einer Untergrundorganisation war eine Befreiungsbewegung geworden, und diese Befreiungsbewegung sollte nun staatliche Institutionen bilden. Wahr ist aber auch, dass Arafat die Schwierigkeiten der Aufbauphase völlig unterschätzt hatte. Von der Verwaltung eines Staates verstand er wenig, und die Entwicklung entglitt ihm zusehends. Allerdings muss man, bevor man ein Urteil fällt, auch die Geschichte und Mentalität der Palästinenser berücksichtigen.
    Es machte sich eben bemerkbar, dass wir in unserer Vergangenheit nie eine eigene, nationale Regierung gekannt hatten. Wir waren Fremdherrschaft gewohnt: die Fremdherrschaft der Pharaonen, der Römer, Byzantiner, Osmanen, Briten und Israelis. Regierungsverantwortung gehört nicht zum historischen Erfahrungsschatz der Palästinenser, und vielen mangelte es an Respekt, viele reagierten rebellisch auf die eigene Regierung. Man stelle sich vor: Jeder kennt jeden. Jeder weiß, aus welcher Familie einer kommt, wie sein Vater heißt, wer seine Mutter ist – warum, fragt sich da mancher, soll man sich etwas sagen lassen von Leuten, die man mehr oder weniger als seinesgleichen betrachtet? Wir sind keine Ägypter mit einer staatlichen Verwaltungstradition, die bis in die Pharaonenzeit zurückreicht, wir sind keine Iraker mit ihren Jahrtausenden staatlicher Geschichte. Was wir seit 1994 betreiben, ist etwas völlig Neues in der 10 000-jährigen Geschichte
Palästinas als Schlachtfeld des Vorderen Orients, als Durchzugsgebiet und Beute zahlloser Eroberer. Es ist ein ganz großes Experiment.
    Ob die Aufbauphase reibungsloser verlaufen wäre, wenn Abu Dschihad, Abu Iyad und Hayel noch gelebt hätten? Ganz gewiss. Ich bin sicher, dass es zu dem beschriebenen Durcheinander nicht gekommen wäre, wenn diese drei Arafat nach Palästina begleitet hätten. Sie hätten für eine straffe Organisation gesorgt und eine Führung durchgesetzt, die einer durchgängigen Logik verpflichtet gewesen wäre. Sie wären ein Garant für eine effektive Verwirklichung

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