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Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Titel: Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdallah Frangi
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der Autonomie gewesen. Das zu verhindern war meiner Ansicht nach einer der Gründe für ihre Ermordung. Diese drei Männer aus dem Weg zu räumen, bevor es zur Selbstverwaltung der besetzten Gebiete käme – der Gedanke muss sich den Israelis aufgedrängt haben.

Scharons Stern geht auf
    Seit Jahrzehnten kannte ich nichts anderes als Rastlosigkeit. Autobahnen und Flughäfen waren mir längst zur eigentlichen Heimat geworden. Wenn man nicht warten will, bis einem die Hand gereicht wird, wenn man, wie es Arafat und ich in unserem Nachtgespräch in Gaza vereinbart hatten, nach jedem kleinen Finger greift, dann heißt das: keine Einladung ausschlagen, auch wenn zu einer Ausstellungseröffnung in Hamburg nur sechs Leute erscheinen, oder wenn man in Erlangen vor einer Handvoll Zuhörer spricht. Ich hatte es immer so gehalten, auch schon vor unserer Vereinbarung. Ganze zweimal habe ich in all den Jahren Urlaub gemacht: mit der ganzen Familie in Spanien und später mit Benita in New York.
    Der Spanienurlaub bestand in einer einwöchigen Rundreise von Meckenheim über Barcelona und Madrid nach Andalusien und entlang der Mittelmeerküste zurück nach Meckenheim  – meinen Sohn hatte die Fahrerei so verrückt gemacht, dass er träumte, die Erde sei in zwei Hälften zerfallen und unser Haus läge unerreichbar auf der anderen Welthälfte, Heimkehr ausgeschlossen. Viel geruhsamer verliefen auch die zehn Tage mit Benita in New York nicht; jeden Abend sind wir ins Theater gegangen und haben uns tagsüber die Füße wund gelaufen – ein unvergessliches Erlebnis, aber kein Erholungsurlaub. Und an jedem dieser zehn New Yorker Tage habe ich unter der Vorstellung gelitten, dass die Befreiung Palästinas nicht vorankommt, solange ich mich bei Musicals und Theateraufführungen in New York amüsiere. Zugegeben, das
ist eine besondere Form von Besessenheit. Daran zeigt sich, welche Macht mein Lebensthema über mich gewonnen hatte.
    Meine innere Unruhe hat mir nie erlaubt, mich zu schonen und mit halber Kraft zu arbeiten. Davon abgesehen richteten sich seit 1994 zu viele Hoffnungen auf Deutschland, als dass ich es über mich gebracht hätte, auch nur kurze Pausen einzulegen. Und mit dem Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin 1999 nahm die Belastung weiter zu, weil ich jetzt gezwungen war, zwischen der alten und der neuen Hauptstadt zu pendeln und zusätzlich zu meinen Abstechern nach Gaza – oder anderswohin – jede Woche drei bis vier Tage in Berlin einzulegen. Wenn Benita mich nicht genötigt hätte, zum Arzt zu gehen, wäre ich Anfang 2001 tot zusammengebrochen. »Eine Woche länger«, sagte der Arzt zu mir, »und Sie wären gestorben, ohne zu wissen, woran.«
    Ich war mir der Veränderung, die mit mir um diese Zeit vorging, selbst nicht bewusst, ich habe an die entscheidenden Tage auch nur unklare Erinnerungen, deshalb will ich an dieser Stelle Benita zu Wort kommen lassen.
     
    Benitas Erzählung
    Schon im Sommer 2000 kam Abdallah mir merkwürdig vor. Er hörte nicht mehr zu, bekam immer weniger mit, zog sich zurück, wurde zusehends einsilbiger und mürrischer. Aber wie immer gab es auch jetzt eine plausible Erklärung dafür: der Stress. Er hatte ja seit Langem kein freies Wochenende mehr, und von einem Familienleben konnte kaum noch die Rede sein. Dann wurde seine Fahrweise immer aggressiver. Er überholte wild, schnitt andere Autofahrer und ignorierte, wenn sie mit der Lichthupe protestierten.
    Im Januar 2001 machten wir einen Sonntagsspaziergang. Abdallah ging langsamer und unsicherer als sonst, stolperte, hielt alle paar Schritte an, um Kräfte zu sammeln, und als wir nach Hause kamen, war er völlig durchgeschwitzt. Ich musste
ihm beim Auskleiden helfen. Er schlief zwei Stunden, danach war alles wie immer, und wir gingen essen und lachten an diesem Abend viel. Trotzdem führte kein Weg mehr an einem Arztbesuch vorbei. Er wollte davon nichts wissen – »so gut, wie es mir heute Abend geht …« –, aber ich bestand darauf.
    Regelrechte Auffälligkeiten konnte unser Hausarzt nicht an ihm feststellen, überwies Abdallah aber, um mich zu beruhigen, an einen Neurologen. Der diagnostizierte Ausfallerscheinungen und schickte uns zur Computertomografie nach Bonn. Wir fuhren hin, die Aufnahmen wurden gemacht, und der dortige Arzt überreichte uns die Bilder in einem verschlossenen Umschlag mit der Aufforderung, umgehend den Neurologen wieder aufzusuchen. Da wusste ich, dass etwas nicht stimmte, immerhin war es schon

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