Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
Verbundenheit, wenn einer dann stolz nach Hause gehen und sagen konnte: Abu Amar hat mir einen Bissen gereicht. Das war schon ein Erlebnis. Dieses Abendessen dauerte bis kurz vor 23 Uhr, und wenn endlich alle gegangen waren, kehrte Arafat an seinen Schreibtisch zurück. Es machte ihm nichts aus, bis morgens um 1, 2 Uhr zu arbeiten. Kurzum: Er war ein guter Führer in harten Zeiten, aber im friedlichen Normalzustand brachte er mit seiner hyperaktiven Art alles durcheinander. Es war zwar von Vorteil, dass alle wichtigen Leute direkten Kontakt zu ihm hatten, doch für den geordneten Aufbau eines Staates war das System Arafat ein Nachteil. Jeder verließ sich auf ihn – man brauchte ja nur die abendliche Sitzung abzuwarten.
Und dann … Als ich dem Oslo-Abkommen zustimmte, hatte ich erwartet, dass keine weiteren Geheimdokumente unterschrieben würden. In Zukunft wollte ich vorher informiert werden. Offenheit, demokratische Verfahren, aktive
Teilhabe an Entscheidungsprozessen – das alles wünschte ich mir von einer PLO, mit der wir in unsere Heimat zurückkehren konnten. Schließlich würde es der PLO obliegen, den entscheidenden Einfluss auf die Bildung eines Verwaltungsapparats, auf die Auswahl des Führungspersonals, auf die gesamte politische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes zu nehmen.
Was ich dann erlebte, war das Gegenteil eines planvollen, besonnenen Aufbaus. Vieles lief überstürzt, die wenigsten waren auf die Übernahme von Regierungsverantwortung vorbereitet. Jetzt kamen die verdienten Kämpfer zurück, die seit 1982/83 im Jemen, in Libyen, in Algerien gelebt hatten – sie liefen bei uns unter der Sammelbezeichnung »tunesische Palästinenser«. Arafat hätte diese Männer schon in Tunis auf ihre künftigen Verwaltungsaufgaben vorbereiten und selbst im Sudan eine Akademie für Führungskräfte gründen müssen. Es erwartete diese Männer ja eine enorme Umstellung – nach der Rückkehr in die Heimat würden sie keine militärische Funktion mehr haben, und die Arbeit der Sicherheitskräfte würde auf einen gewöhnlichen Polizeidienst hinauslaufen. Aber die Leute, die aus dem Exil kamen, waren Kämpfer, keine Politiker, keine Beamten. Nun wurden sie mit Posten versorgt und durften drauflosexperimentieren.
Außerdem hätte man palästinensische Wirtschaftsexperten und Verwaltungsfachleute von außen hinzuziehen müssen – was in manchen Fällen daran scheiterte, dass die Israelis diesen Fachleuten keine Einreisegenehmigung erteilten. Die Schlüsselpositionen in den Ministerien hätten mit Kräften besetzt werden müssen, die sich durch ihre Qualifikation auszeichneten, ohne Rücksicht auf ihre Parteizugehörigkeit oder ihre Verdienste in der Vergangenheit. Arafat hat, aus nachvollziehbaren Gründen, anders gedacht. Tausende von Menschen, die in israelischen Gefängnissen gesessen hatten, wurden im Verwaltungsapparat eingesetzt, ohne durch irgendeine
Ausbildung darauf vorbereitet worden zu sein. Gleichgültig, wie intelligent und fähig sie sein mochten, sie hatten Jahre, Jahrzehnte hinter Mauern verbracht. Einige hatten dort studiert, einige sogar promoviert, aber längst nicht jeder. Doch alle beriefen sich auf ihre Verdienste als Kämpfer und Befreier, wenn sie denselben Anspruch auf einen gehobenen Verwaltungsposten erhoben wie jemand, der jahrzehntelange Erfahrung in London, Rom oder Bonn gesammelt hatte. Es dauerte dann auch nicht lange, bis es zu Rivalitäten zwischen tunesischen Palästinensern und jenen kam, die in Europa gearbeitet hatten, die als Freiwillige am Aufbau Palästinas mitwirkten, nachdem sie in den palästinensischen Ärzte-, Arbeiter-, Ingenieurs- und Studentenvereinen Europas Erfahrung gesammelt hatten.
Es war selbstverständlich, dass die Palästinenser aus dem arabischen Exil bei der Ämtervergabe berücksichtigt wurden. Aber es war nicht normal, dass man die damit verbundenen Probleme ignorierte. Seine alten Mitarbeiter und Mitkämpfer zufriedenzustellen hatte jedoch für Arafat oberste Priorität. Die einfachste Lösung dafür war, sie mit Ämtern zu versorgen. Natürlich, wenn sie erst einmal hinter ihren Schreibtischen saßen, war es für eine Schulung zu spät. Jahre vergingen, bevor wir die Versäumnisse der Anfangszeit wettzumachen versuchten und zum Beispiel mithilfe der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GTZ, heute GIZ) Verwaltungspersonal schulen ließen.
Arafat dachte und handelte patriarchalisch. Er honorierte Wohlverhalten mit
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