Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
Erlebnisse sind bezeichnend für die väterliche Sorge um die Seelen junger Menschen, die damals in Deutschland allgemein anzutreffen war. An dieser Stelle verdient ein weiterer Lehrer genannt zu werden: der Germanistikprofessor Wilhelm Erb, ein Mann, der in vielen Sprachen bewandert war, unter anderem fließend Arabisch sprach und mir aus seiner Privatbibliothek einige Werke lieh, die den Krieg, die Nazizeit, die Judenverfolgung behandelten – Bücher, an die ich sonst nie herangekommen wäre. Ich las sie alle, und meine Irritation wuchs. Von den Leiden der Juden war bei uns, wie gesagt, nie die Rede gewesen, und jetzt ging es mir so, dass ich, solange ich las, für die Juden Partei ergriff, dann aber, wenn ich ein Buch zur Seite legte, die Solidarität mit meinem Volk wieder stärker empfand. Ich war beeindruckt, erschüttert, doch letztlich setzte sich das Erfahrene gegen das Erlesene durch, und es dauerte nicht lange, bis ich in Frankfurt Gelegenheit fand, mich für die Sache Palästinas einzusetzen. Ich war zum Studieren nach Deutschland gekommen, gewiss, aber die Verhältnisse daheim ließen mir auch jetzt keine
Ruhe. Wie sich sehr bald zeigen sollte, war das Frankfurt der frühen 60er-Jahre für politische Arbeit der ideale Ort.
Hayel, Hani und Nabil
Lebendig, weltoffen und gastfreundlich, so habe ich Frankfurt damals erlebt. Was kam dort nicht alles an jungen Menschen aus der Dritten Welt zusammen, vor allem aus Nicaragua und den Ländern Südamerikas! Wir Palästinenser trafen uns mit Vorliebe mit den Lateinamerikanern – sie kochten für uns, dann kochten wir für sie, und zwischendurch nahmen wir an iranischen Abenden teil, hörten iranische Musik oder veranstalteten unsere eigenen, arabischen Abende, natürlich ebenfalls mit Gästen aus der halben Welt … Es ging unglaublich lebhaft zu. Insbesondere der Quadratkilometer, dessen Mittelpunkt die Universität bildete, hatte sich in einen internationalen Kosmos verwandelt. Leben und Denken waren hier in heftige Bewegung geraten, und bei den politischen Diskussionen ging es gewöhnlich heiß her.
Im Februar 1963 besuchte ich mit Amin eine Veranstaltung des arabischen Studentenvereins – mein alter Freund war übrigens der Erste, den ich in Deutschland für die Fatah angeworben hatte. Wir wurden von lauten Stimmen empfangen, in dem Raum war eine Redeschlacht im Gange. Ich stellte schnell fest, dass die Diskussion von den Anhängern der Baath-Partei, die in Syrien und im Irak das Sagen hatte, von den Nationalisten und den Parteigängern Nassers beherrscht wurde, von Leuten also, für die das Ideal der arabischen Einheit ein unumstößliches Dogma darstellte. Jetzt befanden wir uns in Deutschland gerade in der Gründungsphase eines eigenen, palästinensischen Studentenvereins, und irgendwann stand ein palästinensischer Medizinstudent auf und plädierte
für eine Doppelmitgliedschaft – Mitglieder des palästinensischen Studentenvereins sollten auch dem arabischen beitreten dürfen. Da ging es mit einem Iraker durch. Für ihn (wie für fast alle anderen) kam das einem Aufruf zum Separatismus, einer Anstiftung zum Verrat gleich, und er sprang auf und versetzte dem Sprecher eine Ohrfeige. Jetzt war ich es, der nicht mehr an sich halten konnte. Ich verschaffte mir Gehör und hielt eine leidenschaftliche Rede, auf die Abu Dschihad vermutlich stolz gewesen wäre. Ich war gut durchtrainiert und ziemlich sicher, dass mich keiner ohrfeigen würde, aber derselbe Iraker brüllte jetzt wieder »Verräter! Agent! CIA!« und stürzte sich auch auf mich. Es kam zu einem Handgemenge, und in der Erregung schlug ich zwei-, dreimal zu.
Der Abend endete jedenfalls in einem Tumult. Offenbar hatte ich aber nicht restlos alle gegen mich aufgebracht, denn beim Hinausgehen kam jemand auf mich zu und sagte: »Du hast gut gesprochen. Anders, als die Palästinenser sonst reden.« Er fragte mich nach meiner Adresse und versprach, mich zu besuchen. Ich war für einen Augenblick sprachlos, denn Hayel Abdel-Hamid, wie er hieß, war mindestens sechs Jahre älter als ich, und bei uns begeben sich die Jüngeren eigentlich zu den Älteren.
Er überraschte mich ein zweites Mal, als ich ihn am folgenden Samstag tatsächlich an der Haltestelle auf meiner Straße aus dem Bus steigen sah. Vierzehn Kilometer, erst mit dem Zug, dann mit dem Bus, hatte er auf sich genommen, um mich, den Neuling, zu sehen! Das hätten nicht viele gemacht. Wir gingen einen Kaffee trinken.
Nun saß er mir
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