Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
übernehmen. Alles ging im Hauruck-Verfahren über die Bühne. Und dann die Waffen – nicht gesäubert, nicht auf Funktionsfähigkeit überprüft …« Auch von meiner Entgegnung war Arafat alles andere als begeistert. Und als ich nun auf die schlechte Organisation zu sprechen kam, wurde ich erneut unterbrochen, diesmal durch eine Ermahnung Kadumis. »Ein Partisan kann zur Not auch mit dem Messer kämpfen«, sagte er und erging sich in Erinnerungen an die Anfangszeit des Widerstands, als man im Untergrund noch alles als Waffe benutzt hatte, was einem in die Hände kam. »Warum«, hielt ich Kadumi entgegen, »soll ich mit einem Dolch kämpfen, wenn ich ein Gewehr habe?« Dieser Einwand sorgte abermals für Unruhe, doch jetzt sprang mir Khaled el-Hassan bei. Abu Said, wie wir ihn nannten, war der Bruder meines Freundes Hani el-Hassan und der weitsichtigste Stratege im Zentralkomitee, ein besonnener Mann und scharfsinniger Denker. »Gebt diesem jungen Mann die Chance zu berichten, was er erlebt hat«, sagte Abu Said. »Wir müssen doch fähig sein, ihm zuzuhören.« Von nun an ließ man mich ausreden. Dann übergab ich meine Notizen und verabschiedete mich.
In der Nacht darauf schlief ich schlecht, weil Said immer noch nicht aufgetaucht war und mich das Gefühl beschlichen hatte, nicht dorthin zu gehören: nicht zu denen, die sich im Umkreis des Zentralkomitees bewegten, und nicht zu denen, die Aktionen in den besetzten Gebieten durchführten. Ich hatte
mir überlegt, weiterzukämpfen, jetzt kam mir beides wie Kraftverschwendung vor – die unfruchtbaren Reibereien, die sich aus einer zu großen Nähe zur Führungsebene ergeben würden, genauso wie die Nadelstiche, die ich dem Gegner als Partisan im besten Fall versetzen könnte. Wäre es nicht das Klügste, nach Deutschland zurückzugehen, in ein Land, wo wir bisher kaum Freunde hatten, und dort für Palästina zu arbeiten?
Gottlob traf Hayel an diesem Tag von einer Chinareise in Damaskus ein. Ich schüttete ihm mein Herz aus, und er schaute mich lange schweigend an. »Ich verstehe dich«, sagte er dann. In derselben Nacht klopfte es an meiner Zimmertür, und Abu Iyad trat ein. »Ich werde nach Deutschland zurückfliegen«, sagte ich ihm. Er fragte nach meinen Gründen, und ich erzählte ihm von unserer Sitzung und meinem Eindruck, dass Kritik zumindest bei Kadumi und Arafat nicht gut ankomme. »Nimm beide nicht ernst«, sagte er. Dann fügte er hinzu: »Mach das, wovon du überzeugt bist.«
Genau darin jedoch bestand mein Problem. Wovon war ich denn noch überzeugt? In meiner Verwirrung kam mir sogar der Gedanke, mich vom Widerstand überhaupt loszusagen. Als ich erfuhr, dass sich mein Vater in diesen Tagen bei meiner Schwester Fatima im jordanischen Erbed aufhielt, einer Ortschaft gleich hinter der syrischen Grenze, zögerte ich keinen Augenblick und fuhr hin.
Ein klärendes Gespräch mit meinem Vater war ohnehin längst fällig, und diesmal war ich auch nur zu gern bereit, auf seinen Rat zu hören. »Am liebsten würde ich ganz aufhören und aussteigen«, sagte ich ihm, als wir uns gegenübersaßen, und rechnete mit seiner Zustimmung. Stattdessen schüttelte er den Kopf. »Das darfst du nicht«, sagte er. »Früher war ich mit deinem Entschluss nicht einverstanden. Inzwischen habe ich gemerkt, wie ernst es dir damit ist. Du solltest jetzt keinen Rückzieher machen. Bleibe dir treu. Bleibe
deiner Sache treu. Setze den Weg, den du eingeschlagen hast, fort.«
Ich war froh, mit meinem Vater gesprochen zu haben. Zum ersten Mal konnte ich sicher sein, dass er hinter mir stand. Dankbar und erleichtert fuhr ich zurück nach Damaskus.
Said kam auch in den nächsten Tagen nicht. »Die Syrer sind schwierig«, sagte mir Abu Iyad, als er mich am Tag meiner Abreise noch einmal in meinem Hotelzimmer aufsuchte. »Ich befürchte, er wird für längere Zeit im Gefängnis bleiben.« Dann reichte er mir 50 Dinar, damals 700 DM. Ich lehnte ab, ich hatte Geld von meinem Vater erhalten. Abu Iyad legte die Summe auf den Tisch und ging hinaus. Einen Monat später wurde Said aus dem Gefängnis entlassen. Er ging zurück nach Deutschland und zog sich ganz aus dem Widerstand zurück, ließ aber, nachdem er ein erfolgreicher Geschäftsmann geworden war, bedürftigen palästinensischen Studenten in vielen Fällen großzügige Unterstützung zukommen.
Die Entscheidung für Deutschland, die ich in diesen Tagen in Damaskus traf, war ein Entschluss von großer Tragweite, und das war mir
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