Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
die Woche besprachen wir die Arbeit der vergangenen Woche und verteilten die neuen Aufgaben. Dann fanden wir ein Büro, ideal gelegen, im Herzen von Frankfurt, Zeil 83 – heute unbezahlbar, damals für 400 DM Monatsmiete zu haben. Die Mietkosten übernahm die Liga der Arabischen Staaten. Dort hatten wir unseren Stützpunkt, und mit der Zeit entwickelte sich unser Büro zum Treffpunkt für Journalisten aus ganz Europa. Als Nächstes zogen wir ein regelrechtes Bildungswerk auf und fuhren los, ich oder ein anderer, zu unseren Zweigstellen in ganz Deutschland, um Vorträge zu halten und Kurse zu geben – über die Geschichte Palästinas, die Geschichte der Juden, die Geschichte der Aufstände und Revolutionen. Und dann führten wir Spendenaktionen für einen Zweck durch, der mir sehr am Herzen lag: die medizinische Versorgung in den Flüchtlingslagern.
Die Fatah und die PLO hatten in allen Flüchtlingslagern Jordaniens und des Libanons kleine Behandlungszentren eingerichtet. Für diese Krankenstationen sammelten wir über unsere Zweigstellen in Deutschland regelmäßig Medikamente. Nach kurzer Zeit beteiligten sich Hunderte von Freiwilligen an solchen Hilfsaktionen – nicht nur palästinensische, auch iranische, syrische, ägyptische und deutsche Mediziner sortierten und beschrifteten zum Beispiel die gesammelten Arzneimittel. Wir erreichten sogar, dass die Fluggesellschaften unsere Sendungen mitnahmen, ohne etwas dafür zu berechnen. Die GUPS entwickelte sich also zur Feuerwehr für alle möglichen Probleme – sowohl für die persönlichen Anliegen
der Studenten als auch für Notlagen, die unter den Palästinensern im Nahen Osten auftraten. Wir haben in dieser Hinsicht ungeheuer viel geleistet und jedes Jahr Tonnen von Medikamenten verschickt.
Ich hatte in dieser Zeit das Gefühl, Hayel und Hani in einem zu sein, beide gleichzeitig zu ersetzen, und trotzdem wäre mir die Arbeit natürlich über den Kopf gewachsen, hätte mir nicht ein erstklassiges Team zur Seite gestanden. Besondere Erwähnung verdient hier neben Nabil meine deutsche Mitarbeiterin Inge Presser. Inge war von Beruf Lektorin, eine durchsetzungsfähige, energiegeladene Frau, die sich durch ihr Engagement für den Iran und Vietnam in der linken Szene Frankfurts einen Namen gemacht hatte und jetzt für uns arbeitete. Da sie zudem alle Feinheiten der deutschen Sprache beherrschte, war sie für uns wirklich Gold wert, denn ich hatte ja vor, jede Möglichkeit zu nutzen, um Palästina den Deutschen nahezubringen.
Ausgerechnet den Deutschen. Bedeutete nicht auch das, an das Unmögliche zu glauben? Ich hatte ja noch die Bilder nachgerade siegestrunkener Menschen vor Augen und den Jubel im Ohr, mit dem die Deutschen die Niederlage der arabischen Staaten im Sechstagekrieg quittiert hatten. Karl May und andere deutsche Autoren des frühen 20. Jahrhunderts hatten die Araber noch einfühlsam und mit Sympathie geschildert. Inzwischen aber, als Gegner Israels, waren dieselben Araber in den Augen vieler Deutscher zu Unmenschen herabgesunken, die mit allen Mitteln daran gehindert werden mussten, sich an etwas Heiligem zu vergreifen. Jedenfalls dürfte es in keinem Land der Welt schwieriger gewesen sein, um Verständnis für Palästina zu werben, als in diesem Deutschland mit seiner historischen Verpflichtung gegenüber Israel und seiner unerbittlich israelfreundlichen Springer-Presse – wobei die Parteinahme für Israel nicht nur einem weit verbreiteten, tief empfundenen Bedürfnis entsprach, sondern gleichzeitig die einzige mögliche Haltung war,
wollte man nicht riskieren, in die antisemitische Ecke gedrängt und mundtot gemacht zu werden. Realistischerweise hatte Hani Jahre zuvor befunden, es wäre schon viel erreicht, wenn die Deutschen uns Palästinenser überhaupt zur Kenntnis nähmen, und zwar als Volk, nicht als versprengtes Häufchen von Flüchtlingen. Andererseits hatte man auf vielen Veranstaltungen der letzten Zeit gemerkt, dass die deutschen Studenten an unserem Schicksal interessiert waren und, ohne allzu viel über uns zu wissen, die unkritische Israelbegeisterung ihrer Eltern nicht teilten. Wir gingen an die Arbeit.
Unser ehrgeizigstes Projekt war eine eigene Zeitschrift in deutscher Sprache. Nabil nahm sich der Sache als Chefredakteur an; von ihm stammte auch der Name. Die französische Résistance hatte in Deutschland einen guten Klang, darauf wollten wir uns beziehen, also nannten wir unsere Zeitschrift Resistenzia . Das durchgehend
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