Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
schwarz-weiß gedruckte Heft von acht Seiten Umfang, das er wenig später als Erstausgabe in Händen hielt, machte noch nicht viel her, aber Nabil führte sich auf, als wäre er Vater geworden. Endlich konnten wir den Deutschen erklären, wer wir waren, warum wir kämpften und welche Vorstellungen wir von der Zukunft Palästinas hatten, endlich konnten wir unsere Vision eines demokratischen palästinensischen Staates, in dem Juden, Christen und Muslime zusammenleben, der zionistischen Realität entgegensetzen. Mit der Zeit entwickelte sich unsere Zeitschrift weiter, wurde in Palästina-Hefte umbenannt und war zum Schluss vom Layout und Erscheinungsbild her nicht mehr von Spiegel oder Konkret zu unterscheiden. Was aber wohl in erster Linie zum Erfolg beitrug, war, dass wir auf jegliche Demagogie verzichteten. Wenn aus Damaskus Beiträge in diesem unglaubwürdigen, triumphalistischen Stil bei uns eintrafen, wanderten sie gleich in den Papierkorb.
Es war eben auch eine Frage des Tons. Aus der überschäumenden arabischen Rhetorik hatte die Propaganda der Israelis
nur Vorteile gezogen – in der westlichen Welt erfreut sich der Ausdruck »die Juden ins Meer treiben« bis heute regelrechter Volkstümlichkeit. Achmed Shukeiri, der erste Vorsitzende der PLO, hatte diese Formulierung einmal in einer feurigen Rede benutzt. Wer die arabische Sprache kennt, der weiß, welche Möglichkeiten sie für kraftvolle Metaphern wie für lyrische Bilder bietet. Jedenfalls wollte kein Araber die Juden jemals ins Meer werfen – der Ausdruck diente als drastische Umschreibung für »besiegen«. Die israelische Propaganda aber war für all diese Äußerungen, die im Eifer des Gefechts gemacht wurden, dankbar, stellte sie zusammen, übersetzte sie und ließ sie der eigenen sowie der internationalen Presse zukommen, sodass der Eindruck entstehen musste: Sollte Israel auch nur einen Krieg verlieren, droht ein zweiter Holocaust. Kein arabisches Land hat so etwas je in Erwägung gezogen, aber dieser Verdacht war nun einmal aufgekommen. Wir entschieden uns also für eine nüchterne Sprache. Auch ich musste mich in dieser Hinsicht umstellen – schon deshalb, weil die Leute, mit denen wir abends zusammensaßen und diskutierten, nicht selten Juden waren.
In der linken Szene machten wir uns mit Resistenzia jedenfalls rasch Freunde. Wir fühlten uns ermutigt – und gingen daran, Palästina-Komitees ins Leben zu rufen, sprachen im studentischen Milieu junge Leute an, die in der Bewegung gegen den Vietnamkrieg entsprechende Erfahrungen gesammelt hatten, und fanden in fast allen deutschen Universitätsstädten Mitstreiter, die nun für einen demokratischen Staat Palästina warben. Dann hatten wir den Einfall, uns an den Ostermärschen des Jahres 1968 zu beteiligen.
Passten wir überhaupt ins ideologische Konzept? War die Fatah nicht eine nationale Bewegung? Eine chauvinistische womöglich? Den Organisatoren der Ostermärsche fiel es nicht ganz leicht, uns ins politische Spektrum einzusortieren. Als die Einladung dann doch ausgesprochen wurde, deckten
wir uns als Erstes mit karierten Palästinensertüchern ein. Diese Tücher wurden in Syrien hergestellt, kosteten nur ein paar Groschen und wurden uns von den Ostermarschierern regelrecht aus den Händen gerissen – später sah man sie auf allen Demonstrationen, wir hatten damit fast eine Mode kreiert. Für den Augenblick aber erreichten wir durch diese Tücher, dass sich Palästina als Thema neben Vietnam auf allen Ostermärschen behaupten konnte, schon weil es ins Auge fiel. Meine Schlachtrufe wird man heute wohl unter den kuriosen Aspekten jener Zeit verbuchen müssen, sie lauteten nämlich »Ha-ha-ha, al Fatah ist da!« beziehungsweise »Ho-ho-ho-Chi-Minh, in al Fatah ist auch Ho-Chi-Minh!« Aber so albern einem diese Parolen heute vorkommen mögen, ich hatte damit großen Erfolg; die Leute wiederholten ja alles, solange es in ihrem Sinne war. Der Ostermarsch von 1968 bot uns jedenfalls erstmals Gelegenheit, in der deutschen Öffentlichkeit als Palästinenser aufzutreten und uns auf der Straße Gehör zu verschaffen. In der Folgezeit kam es in deutschen Städten zu zahlreichen propalästinensischen Demonstrationen, mehr als in jedem anderen europäischen Land, und allmählich wurde die israelische Botschaft in Bonn unruhig.
Es war ja auch etwas unheimlich. Wir verfügten weder über eine Rundfunkstation noch über einen Fernsehsender noch über Geld, und trotzdem war Palästina plötzlich in
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