Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
aller Munde. Es war der Botschaft auch nicht entgangen, dass wir selbst in jüdischen Kreisen mittlerweile Sympathien genossen. So war es zum Beispiel zu ersten, fruchtbaren Kontakten mit Mazpen gekommen, einer jüdischen Organisation, die die Besatzungspolitik der israelischen Regierung ablehnte und sich für eine Koexistenz von Israelis und Palästinensern einsetzte. Ihr Vorsitzender Eli Lobel hatte seinen Wohnsitz in Paris, weilte aber oft in Frankfurt, weil seine politischen Vorstellungen in den jüdischen Kreisen dieser Stadt auf große Resonanz stießen. Die israelische Botschaft hielt jetzt jedenfalls die Zeit
für Gegenmaßnahmen für gekommen und beschloss, ihren Botschafter Asher Ben Nathan auf eine Vortragsreise zu schicken. Die Auftaktveranstaltung war für den 9. Juni 1969 in Frankfurt geplant.
Ben Nathan war als Hardliner bekannt, als Mann des Militärs mit granitenen Überzeugungen, von seiner geistigen und physischen Statur her Ariel Scharon nicht unähnlich. Es muss ihm klar gewesen sein, dass er sich mit seinem Auftritt an der Frankfurter Universität in die Höhle des Löwen wagte. Er kam trotzdem.
Der Saal, den der israelische Botschafter am Abend des 9. Juni betrat, war brechend voll. Einen beträchtlichen Teil der etwa zweitausend Zuhörer machten linke Studenten aus; auch etliche prominente Juden wie Dan Diner (damals noch Student), Eli Lobel und Max Pentholt waren gekommen. Ben Nathan trat ans Rednerpult, begann zu sprechen, und die ersten Buhrufe erschollen. Einige riefen »Faschist!« Er sprach weiter, aber die Unruhe im Saal wuchs zu lautstarken Protesten an, ein Pfeifkonzert setzte ein. Da unterbrach Ben Nathan seine Rede und sagte: Das, was er hier erlebe, erinnere ihn an die Art, in der vor dreißig Jahren mit den Juden in diesem Land verfahren worden sei.
Im selben Moment stand der Saal Kopf. Vermutlich gab es im Publikum nicht einen, der mit den Nazis sympathisiert hätte, und auch die anwesenden Juden beteiligten sich an den Schmähungen, die jetzt durch den Raum flogen, darunter die Vertreter von Mazpen, die vor der Veranstaltung Flugblätter gegen Ben Nathan verteilt hatten. Der zögerte, offenbar wollte er das Feld nicht kampflos räumen. Da hörte ich durch den Lärm jemanden hinter mir rufen: »Hier sitzt die Stimme Palästinas! Abdallah, rede du!«
Ich weiß nicht genau, wie ich aufs Podium kam. Auf einmal fand ich mich neben dem israelischen Botschafter wieder, ein Mikrofon in der Hand. Ben Nathan warf mir einen eisigen
Blick zu, von oben herab, und wandte seine Augen nicht mehr von mir, während ich von unserer Vision eines friedlichen Zusammenlebens aller Religionen in einem demokratischen Palästina sprach. Genauso frenetisch wie die Missfallenskundgebungen zuvor fiel jetzt der Beifall aus, und nachdem er eine Weile geschwiegen hatte, wiederholte Ben Nathan seinen Vergleich mit der Hitlerzeit und verließ mit seinen Leibwächtern den Saal.
Aus einer israelischen Veranstaltung hatten wir eine palästinensische gemacht. Es herrschte Siegesstimmung. An diesem Abend kam die Idee einer gemeinsamen Veranstaltung von Juden und Palästinensern auf, mit Eli Lobel und mir als Vortragenden. Juden und arabische Muslime auf einem Podium, am selben Tisch, gemeinsam für eine gemeinsame Sache eintretend – das hatte es nie zuvor gegeben, das war gewissermaßen eine Weltneuheit. Thema des geplanten Abends sollte unser Traum von einem Staat Palästina für alle sein. Im Rückblick muss man sagen: Dieser Staat hatte niemals eine Chance, Wirklichkeit zu werden, aber im Frankfurt des Jahres 1969 wurden Utopien hoch gehandelt, da wurden die großen Menschheitsbefreiungsträume geträumt. Die Euphorie kam in dieser Stunde hinzu, und nur drei Tage später, am 12. Juni, trafen wir uns am selben Ort wieder.
Meine Erinnerung an diesen Abend ist seltsamerweise in grelles, kaltes Neonlicht getaucht, obwohl um diese Zeit noch Tageslicht in den Saal gefallen sein muss. Eli Lobel und ich hatten auf dem Podium Tische und Stühle aufgestellt, saßen jetzt dort oben und beobachteten, während sich der Saal füllte, wie sich in den ersten beiden Reihen seltsame Gestalten niederließen, muskulöse Typen, einige mit kleinen Pepitahüten auf dem Kopf. Studenten waren das nicht. Eher sahen sie nach Frankfurter Unterwelt aus.
Ich setzte gerade zum Reden an, als aus den ersten Reihen, auf voller Breite, ein hartes Klopfen wie von Metall auf Holz
ertönte. Ich bat um Ruhe, aber das hämmernde Geräusch
Weitere Kostenlose Bücher