Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
wenn alles aussichtslos erschien. Das war ja das Faszinierende: Er gab nie auf. Er war die personifizierte Zuversicht. Sogar nach einer Niederlage sprach er von Sieg, und wenn man ihn fragte, worin der Sieg bestehe, antwortete er: »Wir existieren noch.« Nach jedem Rückschlag stellte er sich vor seine Kämpfer, die Finger der rechten
Hand wie Churchill zum Victory-Zeichen gespreizt hoch in die Luft gereckt, und mit dem dreifachen Ruf »Bis zum Sieg!« beendete er jede seiner Ansprachen. Arafat war der Phönix aus der Asche. Nicht zuletzt auf dieser bisweilen geradezu aberwitzigen Siegesgewissheit beruhte seine Fähigkeit, Menschen für sich zu gewinnen – eine Fähigkeit, auf die er sich zeitlebens verlassen konnte. Und natürlich war es für ihn auch ein Leichtes, mich zur Übernahme des Wiener PLO-Büros zu überreden, das ich dann in den Jahren 1982 bis 1984 zusätzlich zu meinem Bonner Büro leitete.
Unser Haus lag im 13. Bezirk, einem alten Villenviertel, und war nicht weniger prächtig als die französische Kolonialvilla, die unser Büro in Algier beherbergt hatte, allerdings auch genauso heruntergekommen. Nun wollte ich Arafat, der sich in Beirut auf einen Krieg vorbereitete, nicht mit der Bitte um Geld für die Renovierungen einer Villa in Wien belästigen, andererseits bereitet mir vernachlässigte Schönheit beinahe körperliche Qualen, und ich zerbrach mir den Kopf, bis ich beim Studium der Akten meines Vorgängers feststellte, dass er vor langer Zeit 60 000 Dollar zu einem Zinssatz von 11 Prozent angelegt hatte. Inzwischen waren daraus 120 000 Dollar geworden. Jetzt brauchte ich nur noch preiswerte Arbeitskräfte aufzutreiben, und einen Monat später erstrahlte dieses Juwel von einem Haus in seinem alten Glanz, auch zur Freude der Nachbarn.
In dieser Villa feierte Bundeskanzler Kreisky mit uns am 29. November den Tag der Solidarität mit dem palästinensischen Volk. Dieser Feiertag war von der UNO zum Gedächtnis an die Vertreibung beschlossen worden, und Kreisky hielt die Festrede. Ansonsten machte ich in Wien nichts anderes als in Bonn: Pressekonferenzen, Interviews, Einladungen, Fernsehauftritte. Dass Kreisky zum schärfsten Kritiker der israelischen Invasion im Libanon wurde, ist womöglich auch die Frucht unserer Arbeit. In einem Punkt verlangte Wien mir
allerdings eine größere Umstellung ab: In Deutschland hatte ich mir angewöhnt, bei Interviews sehr schnell zu sprechen, weil mir für meine Antworten in der Regel eine, höchstens anderthalb Minuten Zeit blieben. In Österreich, so lernte ich nun, kann man sich mit dem deutschen Tempo keine Freunde machen. Bei meinem ersten Rundfunkinterview in Wien sagte die Reporterin zu mir: »Herr … Frangi, … bitte … langsam … sprechen.«
Wir hatten gehofft, mit dem Exodus der Kämpfer den letzten Akt der Tragödie im Libanon erlebt zu haben, doch dem war nicht so. Die Schreckenszeit setzte sich mit dem Massaker von Sabra und Schatila fort, das Scharons Vorstellung von einem Inferno ziemlich nahegekommen sein dürfte. Ich will an dieser Stelle nur an die Fakten erinnern.
Am 14. September 1982 fiel Israels Wunschpartner im Amt des libanesischen Staatschefs, der Falangistenführer Bashir Gemayel, einem Attentat zum Opfer. Die Gunst der Stunde nutzend, besetzten israelische Truppen das gesamte Stadtgebiet von Beirut. Keine zwei Tage später begann das blutigste Gemetzel in der Geschichte des palästinensischen Volkes: Ein Trupp von hundertfünfzig Falangisten drang in die beiden Flüchtlingslager Sabra und Schatila im Süden Beiruts ein und massakrierte innerhalb von achtundvierzig Stunden schätzungsweise dreitausend Menschen, überwiegend Frauen, Alte und Kinder – unter den Augen der israelischen Armee, die vorsichtshalber alle Fluchtwege abgeriegelt hatte und nachts ihre Scheinwerfer auf das Lager richtete, um den Mördern ihre Arbeit zu erleichtern. Das Vorkommnis hatte in Israel die größte Protestdemonstration seit der Staatsgründung und den Einsatz einer Untersuchungskommission zur Folge, die Ariel Scharon zum Hauptschuldigen erklärte. In Tel Aviv gingen 400 000 Menschen auf die Straße, und Scharon trat von seinem Posten als Verteidigungsminister zurück.
Aber auch damit fand das Drama der Palästinenser im Libanon noch kein Ende. Denn angesichts der Schwächung der PLO sahen die Syrer jetzt ihre Stunde gekommen.
Die Syrer verstanden sich als die zur Befreiung Palästinas berufene Führungsmacht des Nahen Ostens, sie
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