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Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Titel: Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdallah Frangi
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duldeten niemanden, der diesen Rang gefährdete, und eine Bewegung wie die Fatah, die Präsident Assad seine Vorrangstellung streitig machte, musste ausgeschaltet werden. Hier wirkte sich das historisch gewachsene Selbstbewusstsein eines sehr alten Volkes aus – genauso wie bei den Irakern übrigens, die ebenfalls von ihrer geschichtlich begründeten Führungsrolle überzeugt waren. Als die israelische Armee im Oktoberkrieg ihren Gegenangriff gegen Syrien führte, griffen irakische Truppen auf syrischer Seite in die Kämpfe ein und retteten die Syrer im letzten Augenblick. Ohne irakischen Beistand wären die syrischen Verbände wohl viel weiter zurückgeworfen worden. Mit Sympathie für die Syrer hatte ihr Eingreifen jedoch wenig zu tun, die Iraker verliehen auf diese Art vielmehr ihrem Führungsanspruch innerhalb der arabischen Welt Nachdruck. Nun brauchen Völker zweifelllos Visionen, vielleicht auch Aufträge, die sie aus ihrer Geschichte herleiten, aber eine große Vergangenheit kann ebenso zur Last werden, zu politischer Erstarrung führen.
    Im Augenblick arbeiteten Syrer wie Israelis daran, den Libanon in Einflusszonen aufzuteilen. Während die Israelis ihre Kontrolle über den Süden festigten, machten sich Syrer und libanesische Falangisten im Norden daran, die verbliebenen palästinensischen Kämpfer in die Enge zu treiben. Es waren nämlich nicht alle Fedajin abgezogen worden. Einige tausend hatten sich in die Berge zurückgezogen, weil man die Flüchtlinge nicht ganz ohne Schutz lassen wollte, auch Abu Dschihad und Hayel waren geblieben. Diese Truppen wurden nun mit massiver Unterstützung der Syrer immer weiter nach Norden abgedrängt – und gleichzeitig kam es zu einer offenen Revolte innerhalb der Fatah.

    In der über zwanzigjährigen Geschichte der Fatah hatte es dergleichen noch nicht gegeben. Prosyrische Mitglieder, darunter ein Mitglied des Zentralkomitees und drei Mitglieder des Revolutionsrats, putschten gegen Arafat und gründeten in Damaskus eine neue Fatah – für die Syrer die Erfüllung ihrer Träume, für uns ein Albtraum, denn nach der Vertreibung aus Beirut war eine Spaltung das Letzte, was wir brauchen konnten. Was sollte mit diesen Leuten geschehen? Arafat tauschte sein Palästinensertuch gegen eine Militärmütze – immer das Zeichen dafür, dass es ernst wurde – und beorderte den vierundsechzigköpfigen Revolutionsrat der Fatah im Mai 1983 zu einer Sitzung nach Damaskus in der Absicht, mit den Meuterern zu reden.
    Ich flog nach Damaskus. Die Putschisten erschienen nicht. Aber es gab auf dieser Sitzung auch unter den Anwesenden genug Teilnehmer, die mit dem Standpunkt der Syrer sympathisierten; gleich neben mir zogen zwei ungeniert über Arafat und andere führende Köpfe der Fatah her. Nun ja, man war in Damaskus, man fühlte sich sicher, man hatte auf syrischem Boden nichts zu befürchten, und das war das eigentliche Problem: die feindselige Politik Syriens, nicht der Verrat einer Handvoll Abtrünniger. Mit Syrien mussten wir eine Verständigung herbeiführen, doch nicht auf Kosten unserer Unabhängigkeit, nicht unter Preisgabe unserer politischen Ziele. Nur – würde hier, in der Höhle des Löwen, jemand den Mut aufbringen, Klartext zu reden? Bekanntlich duldeten die Syrer nicht die leiseste Kritik an ihrer Regierung.
    Kadumi, der mit Arafat und den anderen an einem Tisch an der Stirnseite des Saals saß, drückte sich in seiner Eröffnungsrede um deutliche Worte. Wenn ich mich nicht täuschte, herrschte im ganzen Saal eine Atmosphäre der Einschüchterung, was mich ärgerte, weil ich in diesen Tagen die Unabhängigkeit der Palästinenser tatsächlich bedroht sah. Deshalb meldete ich mich, nachdem Kadumi seine Rede beendet hatte,
und Arafat erteilte mir das Wort. »Die Meuterer wissen, dass sie nicht die Fatah vertreten«, sagte ich. »Sie wissen, dass sie nicht für Palästina arbeiten, sondern die Geschäfte eines bestimmten Staates betreiben. Und diesem Staat ist unsere Unabhängigkeit ein Dorn im Auge. Dieser Staat will über unser Schicksal bestimmen …« Auch ohne Syrien ausdrücklich zu erwähnen, wusste natürlich jeder Bescheid.
    Ich hatte wohl zu leise gesprochen, jedenfalls unterbrach mich Arafat und sagte: »Abdallah, komm nach vorn, damit alle dich hören können.« Offenbar war er mir dankbar, dass ich aussprach, was andere nur dachten. Und ich war ihm dankbar, unendlich dankbar, dass er sich in aller Deutlichkeit auf meine Seite schlug. Einer

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