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Der Gesang der Haut - Roman

Der Gesang der Haut - Roman

Titel: Der Gesang der Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Picus-Verlag
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glücklich, der Ring war ein Symbol, dass ich von nun an zu seiner Familie gehörte, auch wenn seine Eltern mich nicht besonders mochten.
    Der Tisch war in zwei Teile geteilt. Eine unsichtbare Scheibe trennte die zusammengehörenden Paare. Viktor erinnerte sich an Laborexperimente mit Partnerwechsel der Mäuse in zwei Plexiglasboxen. Er hatte vergessen, wie das Experiment ausgegangen war, wahrscheinlich war es den Tieren piepegal, mit welchem Partner sie ihr Plexiglaszimmer teilten, spielten und kopulierten, doch er erinnerte sich an eine Maus, die immer wieder ihr Mäulchen an die durchsichtige Wand drückte, was er damals sicher falsch als Ausdruck der Liebessehnsucht interpretiert hatte. In dieser überheizten Wohnung schwitzte er und spürte, wie seine Worte ein Laborrad rauf und runter kletterten und abrollten, sinnlose Versuche, Energieverschwendung. Mein Mann hört viel Musik, sagte Frau Gerlach unvermittelt. Die Musik beruhigt ihn. Sie sprach jetzt, als machte die unsichtbare Scheibe ihren Mann auch taub. Wenn Sie erlauben, sagte Viktor und zog seine Jacke aus. Er stand auf, um sie auf der Lehne des Stuhls aufzuhängen, und auch Frau Gerlach stand auf und stapelte die Teller, um sie in die Küche zu bringen. Jetzt geriet Klara ebenfalls in Bewegung. Ob sie helfen könne? Gerlach reichte ihr die Nachtischteller, die sie auf dem Tisch verteilte, ganz wie die Tochter des Hauses. Viktor war allein am Tisch geblieben und beobachtete das Ballett der sich entfernenden Personen mit dem Gefühl, dass etwas aus dem Ruder lief. Klaras Freundlichkeit, ihr glückliches Lächeln befremdeten ihn. So hatte er sie nie bei ihren oder seinen Eltern erlebt. Und etwas in Gerlachs Blick nährte seinen Verdacht, ein Fünkchen List, ein Hauch von Falschheit. Er flirtet mit meiner Freundin, und die blüht auf – bei diesem alten Sack! Als Klara einen Teller vor ihn setzte, bückte sie sich und gab ihm einen kleinen, spitzen Kuss, den Viktor nicht interpretieren konnte. Frau Gerlach kam mit dem Nachtisch zurück, einem großen Pflaumenkuchen mit einer angezündeten Kerze in der Mitte. Ja, sagte sie, mein Mann hat heute Geburtstag. Sie lächelte.
    Gert Gerlach ließ das Kinn hängen: Was erzählst du für einen Quatsch?
    Du hast Geburtstag mein lieber Gert, du bist heute sechzig geworden. Ich weiß, sagte Gerlach, es wäre doch nicht nötig gewesen, es unseren Gästen auf die Nase zu binden. Wir hatten vorher vereinbart … Ich mache mir nichts aus Geburtstagen, das weißt du doch.
    Wir gratulieren, sprang Viktor ein, so fröhlich wie möglich. Alles Gute zum Geburtstag! Er hob sein fast leeres Glas. Ich verbiete hier jedem, mir zu gratulieren, antwortete Gerlach. Aber eine Flasche Sekt könntest du uns bringen, Henrietta.
    Willst du nicht zuerst die Kerze ausblasen, Gert?
    Hol’ zuerst den Sekt. Unsere Sängerin hier hat Durst, und ihr junger Arzt auch, du lässt hier alle vertrocknen und Klara soll später unsere Seelen wiederbeleben. Glauben Sie an die Seele, liebe Klara, glauben Sie, dass wir eine Seele besitzen?
    Ja, sagte Klara, na ja, ich weiß nicht. Vielleicht.
    In diesem Augenblick drehte sie sich endlich zu Viktor und fasste sich lächelnd an den Bauch: Ein bisschen Diät wird uns morgen gut tun, glaube ich.
    In der Tat, lächelte Viktor, aber dieser Kuchen sieht prächtig aus.
    Was bedeutet schon »ich weiß nicht«, hob Gerlach die Stimme, glauben Sie, dass wir eine Seele haben, oder nicht?
    Ich bin nicht religiös erzogen worden, sagte Klara, aber wie kommen Sie gerade jetzt auf diese Frage?
    Über die Musik. Ihr Gesang. Glauben Sie, Klara, dass eine Seele Ihr Herz, Ihre Atemorgane, Ihre schöne Stimme durchflutet, läutert, erwärmt? Oder sind Sie, Klara, nur ein seelenloses Kätzchen mit melodischem Miauen? Ist das Leben nur ein Kreuzweg der Seele, an jeder Station lassen wir ein Stückchen davon weg, bis wir ganz seelenlos, lieblos und gesanglos endlich unter die Erde dürfen?
    Haben Sie ein schlechtes Gewissen?, lachte Klara. Ja, ich glaube an unsere Seele, na ja, ich möchte daran glauben.
    Unser Gert philosophiert gern mit jungen Frauen. Frau Gerlach war mit einer Flasche Sekt und Sektgläsern zurückgekommen. Die alte Masche, zischte sie. Sancta simplicitas. Sie füllte Gerlachs Glas, der genervt mit den Achseln zuckte. Viktor schaute scheinbar fasziniert dem Erscheinen und Verschwinden der Bläschen zu. Hatte dieser Doktor Gerlach Alzheimer oder nicht?
    Prost, sagte dieser, prost, liebe Kinder, auf die Liebe.

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