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Der Gesang der Haut - Roman

Der Gesang der Haut - Roman

Titel: Der Gesang der Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Picus-Verlag
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Liebe erkalten lässt? Nachdenken, nichts ist schwieriger als nachzudenken, wenn man weiß, dass man nachdenken muss. In der Medizin führen die Symptome zur Diagnose, in Sachen Liebe nicht so leicht. Deine Geschichte wirft Fragen auf, lauter dampfende Fragen, wie das Maul vulkanischer Erde eine Fumarole durchlässt, und du hast Angst, dich zu verbrennen. Schließlich hältst du in einer kleinen Straßenbucht am Rhein. Du weißt nicht, wo du gelandet bist. Du hörst das Plätschern des Wassers auf Steinen, möchtest zum Ufer, aber Leitplanken, Molen, Mauern hindern dich und, als du weiterfährst, später eine Baustelle, rot-weiße Absperrungen, Warnschilder. Diese verkehrsbedingten Hindernisse bringen dich zum Verzweifeln. Du findest dich auf einer Schnellstraße wieder, deren Namen du nicht kennst, du findest kein Schild, und wieso du plötzlich über eine Brücke fährst und wie du endlich auf der Deutzer Seite landest, weißt du auch nicht. Du fährst jetzt durch das Messegelände, hältst irgendwo, läufst ein Stück und bist am Rhein, du hörst ihn in der feuchten Nacht und latschst auf schwammartigem Boden zum nassen Ufer. Deine Schuhe drücken sich in das sumpfige Gras, du kriegst nasskalte Füße.

11
    A m Samstagabend stand Viktor vor Gerlachs Tür mit seinem Rosenstrauß, seufzte und drückte auf die Klingel. Es war schon nicht mehr das nüchterne Schellen eines Fremden, sondern das genervte Klingeln eines angespannten Familienmitglieds, das seine Pflicht beim alten Onkel erfüllt. Da sich niemand rührte, klingelte er wieder, zweimal kurz, als hätte er seine Schlüssel oder den Öffnungscode vergessen. Frau Gerlach erschien an der Tür, und auch sie war in einer familiären Verfassung: Hüpfen Sie schnell rein, ich muss zurück in die Küche, bevor mein Braten anbrennt! Bin gleich wieder da. Legen Sie ab, Sie kommen allein zurecht. Ach, geben Sie mir die Rosen, danke, danke, schön sind die. Sie steckte die Nase in die duftlosen Blumen und lief mit dem Strauß wieder in die Küche. Der Geruch von gerösteten Zwiebeln hing in der Luft. Er ließ seinen Mantel an der Garderobe und ging allein Richtung Wohnzimmer. Er hörte Stimmen und hoffte, andere Gäste wären da, aber nein, Doktor Gerlach saß vor dem Fernseher und hörte Nachrichten. Er blieb sitzen und schaute nur kurz zu Viktor hoch, der sich bücken musste, um ihm die Hand zu geben: Ach, da bist du, mein Junge, schön, dass du dich mal wieder blicken lässt. Wo hast du deine Schwester gelassen? Viktor senkte die Augen, um seine Verwirrung nicht zu verraten, meinen Sie Klara? Klara konnte nicht kommen. Sie hat zu viel für die Schule zu tun … Er unterbrach sich, Gerlachs Lachen war geradezu explodiert. Er bekam vor lauter Lachen keine Luft mehr und prustete: Du hast wohl gedacht: Jetzt ist alles aus mit dem Alten? Keine Panik, lieber Weber, es war ein Scherz. Mir sitzt zwar der Schalk Alzheimer im Nacken, behauptet meine Frau, aber ich habe dich erkannt. Wir sprechen oft von eurem letzten Besuch, Henrietta und ich. Ihre Frau hält Sie immer noch für krank?, fragte Viktor. Meine Frau fragt mich um 17 Uhr, was ich um 16 Uhr gemacht habe, und ich soll um 18 Uhr noch wissen, was sie mich um 17 Uhr gefragt hat und so weiter. Diese arme Henrietta ist naiv, kämpft mit Ameisen gegen den Ameisenbär Alzheimer, der uns Gott sei Dank bis jetzt erspart geblieben ist.
    Warum macht sie das, Gert?
    Eine lange Geschichte, ihre Geschichte, lieber Viktor. Apropos, wir haben neulich deine Freundin angerufen, wir waren ganz enttäuscht, dass sie sich nicht frei nehmen konnte.
    Viktor verschlug es die Sprache. Was sollte der Anruf bei Klara? Hatte sie hinter seinem Rücken den Gerlachs ihre Nummer überlassen? Hatten sie die Nummer einfach bei der Auskunft erfragt? Und warum nicht bei ihm? Und wozu der Anruf?
    Sie haben mit Klara telefoniert?
    Sind wir nicht per Du? Ja, wir haben über dies und das und über ihre schöne Stimme gesprochen. Wir waren so begeistert von ihrem spontanen kleinen Konzert, dass wir uns noch einmal bedanken wollten. Wie wär’s mit einem Kölsch? Oder magst du lieber Bitburger?
    Gerlach war jetzt aufgestanden und stand vor Viktor, der sich unaufgefordert hingesetzt hatte. Also zwei Bitburger. Er entfernte sich und kam wieder ohne Bier, aber mit einer Vase, in der Viktors Rosen standen. Er setzte sie wortlos auf den Tisch und schaute Viktor an: Was sagtest du? Kölsch oder Bitburger? Bitburger. Er drehte sich wieder um. Zum zweiten Mal

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