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Der Gesang der Haut - Roman

Der Gesang der Haut - Roman

Titel: Der Gesang der Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Picus-Verlag
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muss man haben, oder?
    Und als sie hinausging: Das Leben, lieber Doktor, bringt manchmal komische Wendungen mit sich. Und Viktor: Da haben Sie recht, Frau Hirsch. Der magische Satz war ausgesprochen und in ihrem Gesicht erstrahlte ein breites Lächeln, als sie, als rechthabende Frau, sehr aufrecht hinausging.
    Viktor wusch sich die Hände, beobachtete sich im Spiegel. Wenn er lange und nah genug hinsah, schimmerte sein Kindergesicht durch, der Blick und die Züge des Zehnjährigen, des von der Großmutter vergötterten Schelms. Ein schwarzer Wuschelkopf, zwei braune Augen, in denen die Sonne haften geblieben war, eine griechische Nase, blumige Lippen. Viktor Weber hätte durchaus Karriere als Fotomodell machen können, hätte er nicht unbedingt die Haut der anderen retten wollen.
    Er warf einen Blick in die graue Mappe. War Carolin Leitner eine Patientin von Gerlach gewesen? Er schaute in seine digitalen Dateien, ob er etwas über sie finden konnte. Nichts. In den alten Karteien von Doktor Gerlach, die noch nicht weggeworfen waren, fand er aber eine Karte, mit den handgeschriebenen Daten von Carolin Leitner. Ein Termin: 16. Mai 1999. Darunter nur leere Zeilen. Entweder war die Patientin nicht erschienen oder sie wurde nicht untersucht. Viktors Fantasie spielte ihm lüsterne Bilder zu, die sein nächster Patient zerstreute.
    An einem Freitagabend – ein drittes Wochenende ohne Freundin kündete sich an – klingelte um acht Uhr das Telefon. Sofort dachte Viktor an Klara und sprang so flott aus der Dusche, dass er ausrutschte und beinahe gefallen wäre. Er erkannte bestürzt die Stimme von Frau Gerlach. Ob er und seine so liebenswerte Freundin Karla am Samstag oder am Sonntag zum Abendessen kommen möchten? Es tut mir leid, antwortete Viktor, der tropfend langsam zu sich kam und den Eindruck hatte, in einen neuen Albtraum zu gleiten, Klara (er betonte nur leicht den Vornamen) kann an diesem Wochenende nicht kommen. Und ich selbst … Frau Gerlach unterbrach sofort: Strohwitwer? Ein Grund mehr, uns zu besuchen. Sie wissen, was Sie meinem Mann für eine Freude machen würden. Ausnehmend lieb von Ihnen, sagte Viktor, aber ich muss mich hier auch allein einleben und möchte auf keinen Fall jetzt als Schmarotzer meinen Stammplatz in Ihrer Familie haben. Ich bin ein großer Junge, der für sich sorgen kann … Samstag oder Sonntag?, fragte Frau Gerlach gebieterisch, oder haben Sie wirklich etwas vor?
    Viktor konnte weder gut lügen noch unhöflich offen sein. Er gab sich geschlagen und versprach, den samstäglichen Nierenbraten mit Gerlachs zu verspeisen. Er mochte keine Nieren, aber den Besuch auf Sonntag zu verschieben, hätte ihm beide Tage verdorben. Er trocknete sich, rieb kräftig seine zitternde Haut, konnte jedoch seine Beklommenheit nicht abschütteln. Obwohl er sich vorgenommen hatte, jetzt ein neues Restaurant zu testen, in das er vielleicht demnächst Klara einladen konnte, zog er Schlafanzug und Schlafrock an und ließ sich mit einem Sandwich vor dem Fernseher nieder. Klara hatte nicht, wie versprochen, angerufen. Am Samstag bin ich dran, ich rufe dich an … Sonst war immer er der Anrufer. Er versuchte sie auf ihrem Handy zu erreichen, hörte aber nur den Anrufbeantworter. Er schaute zerstreut einen Tatort, der schon begonnen hatte. Ein Telefon bei der Kripo ließ ihn mehrmals aufhorchen. Aber nur im Film wurde angerufen. Schließlich schaltete er ihn aus. Er würde eine Runde mit dem Auto drehen.

(Moira)
    L ass mich diese Szene einblenden: Du fährst blind irgendwohin, Schnellstraße, Ring, die Innere Kanalstraße ist das, du musst nach links, wenn du das Zentrum erreichen willst, aber du verpasst die richtige Kreuzung, jetzt bist du zu weit, der Verkehr ist lebhaft, freitagabends, sie fahren alle zur Disco oder zu Freunden, ins Restaurant, zur Familie, sie sind eingeladen, nicht bei Gerlachs, du bist in der Eifelstraße, kannst kein Schild sehen, erreichst wieder einen Ring, wie heißt er denn, das müsste nicht so weit sein vom Neumarkt, aber du verfährst dich wieder, das ist wie verhext hier, ach, jetzt bist du aber auf einer Schnellstraße am Ufer, du hast keine Lust mehr zur Altstadt zu fahren, du möchtest einfach am Rhein laufen, dich sammeln, zur Ruhe kommen, darüber nachdenken, ob deine Klara in der Krise steckt und warum, wirft sie dir etwas vor? Warum kommt sie nicht, warum will sie nicht, dass du nach Königstein kommst? Ist es nur die Aussicht, nach Köln zu ziehen, die ihre sonst feurige

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