Der Gesang der Haut - Roman
Viktor einwirken.
Und das haben Sie von ihr erfahren?
Nein. Carolin hat es meinem Mann erzählt, der mich damit sofort konfrontierte. Ich schmiss ihm Fischers Dossier vor die Füße. Der Gedanke, dass er seit Wochen beschattet worden war, versetzte ihn in Rage. Gert besaß schon immer die Begabung, mich in die Rolle der Bösen zu drängen, obwohl oder gerade, wenn er der Schuldige war. Man kommt sich gemein vor, das eigene Vergehen – einen Detektiv auf die Spuren des eigenen Manns zu schicken! – erscheint schlimmer als das des betrügenden Schurken. Wir haben einander wie Landsknechte die ordinärsten Ausdrücke an den Kopf geworfen. Schließlich aber, als ich sagte, ich würde gehen und mich scheiden lassen, brach er zusammen und, lieber Viktor, so habe ich meinen Mann nie erlebt: Er weinte, schluchzte so schrecklich, dass ich Angst bekam. Einen solchen Zusammenbruch hätte ich bei ihm nie für möglich gehalten, es war, als befreite er sich von einer tonnenschweren Last. Er ist ein hervorragender Schauspieler, doch klang es aufrichtig, als er sagte: Ich bin verloren. Frau Gerlach streckte wieder die Arme zu Viktor hin, als sie fortfuhr:
Und was glauben Sie, was ich dann machte? Ich weinte mit, bereute, tröstete, mein Gott, wie konnte ich in diesen Eifersuchtswahn geraten, ich wusste doch, dass er mich liebte, dass er mich brauchte, Libido und Liebe waren doch zweierlei, was wogen seine kleinen Vergnügungen im Vergleich zu unserer Ehe? Kennen Sie das, Viktor? Kaum ist man sein Gift losgeworden, kaum sieht man den Schuldigen zu seinen Füßen liegen, ergeben und ausblutend, schon bereut man seine Strenge, spürt die Übertreibung oder das, was man jetzt dafür hält, die Empörung schmilzt zusammen, man schämt sich, dass man einen geliebten Mensch gedemütigt hat, als sei man damit sich selbst untreu geworden. Wir weinten zu zweit, und fast hätte ich ihn um Verzeihung gebeten, als er mich auf einmal all meiner Illusionen beraubte.
Viktor schaute fasziniert auf diese Frau. Verzweifelt, exaltiert. Wie kann man so tief sinken, dass man sich an einen solchen Schuft klammert? Wie groß muss ihre Angst vor der Einsamkeit sein?
So schnell hatten Sie ihm verziehen?, fragte er.
Warum nicht? Ich hatte diese Liebschaft überschätzt, dachte ich wieder …
Viktor spürte das Zittern seiner Lippen oder wie die Welt an der Spitze seiner Lippen bebte, als er ein schwaches Lächeln wagte: Diese Seitensprünge sind aber schon Symptome einer kranken Beziehung, oder?
Frau Gerlach stand auf und näherte sich ihm, berührte ihn zaghaft an der Schulter. Ihr Gesicht glühte: Ach, Viktor, nein, so einfach ist eine Ehe nicht. Und …
Ihr panischer Blick.
Manchmal sah ich diese Sachen bestimmt mit der Verbitterung einer älteren, zigfach betrogenen Frau. Aber es gab auch Augenblicke …
Wie ging es weiter?, fragte Viktor und bemühte sich um einen ruhigen Ton.
Frau Gerlach hatte sich wieder hingesetzt. Sie seufzte: Ich hatte mich auf der ganzen Linie geirrt. Er weinte nicht wegen mir und meiner Drohung, ihn zu verlassen. Er wollte zwar diese Frau loswerden …
Na dann, wo lag der Haken? Das war doch genau das, was sie hofften?
Ja, aber Carolin Leitner bestand darauf, dass er mich verließ.
Anscheinend hat Ihr Mann ihr nicht nachgegeben.
Nein, sie hat ihn daraufhin bedroht und sich dann gerächt.
Frau Gerlach senkte den Kopf. Die Muskeln ihres Gesichts verhärteten sich, als sie weitersprach:
Carolin war also die Kommilitonin, mit der er eine Liebschaft gehabt hatte, damals, als Student. Er hatte sie nach dem Physikum verlassen, als er ins Ausland ging und nie mehr von sich hören ließ. Als sie ihn in Köln wieder traf, wollte sie ihn nicht noch einmal verlieren. Sie waren beide inzwischen fast fünfzig.
Womit hat sie ihn bedroht? Was war das für eine Rache?
Sie wollte, sollte er sie verlassen, ein Geheimnis ausplaudern, ein Geheimnis, das sie mit ihm seit der Jugend verband. Habe ich Ihnen gesagt, dass diese Frau ihr Arztdiplom nie erlangt hat? Zwei Jahre nach der Trennung von Gert hat sie ihr Studium hingeschmissen, hat in den Niederlanden eine Physiotherapieausbildung absolviert, ist dort Physiotherapeutin geworden, und irgendwann hat sie eine Praxis in Köln aufgemacht. Sie hatte gehofft, Gert werde sich nach seinem Jahr in Amerika melden, aber aus den Augen, aus dem Sinn. Er meldete sich nie wieder. Er empfing Briefe, die seine Eltern ihm nachschickten, ließ sie aber unbeantwortet. Sie hat nie geheiratet,
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