Der Gesang der Haut - Roman
als Geschenk zu deiner Pensionierung, Gert, die Schande fürs restliche Leben. Mein Fehler. Hätte ich nur nicht vor Jahren …
Was guckst du so? Habe ich geschlürft?
Du weißt genau, was ich meine. Wir müssen jetzt eine Strategie entwickeln.
Ach, wogegen denn? Wofür denn?
Gegen Fischer.
Er lachte auf: Die Dame will strategisch werden! Du und Strategie! Er beugte sich, gab ein künstliches Gejauchze von sich. Krümelchen blieben an seinen Lippen hängen. Henrietta schaute auf die Risse in der Wandfarbe. Man müsste renovieren. Strategisch! Dir fehlt dazu der Grips, lass dich überraschen, mein Schatz. Ich weiß schon, was ich mache. Es wird sich geben.
Mein Schatz?
Sag mir lieber, woher hast du diese Orangenmarmelade, die schmeckt recht gut, finde ich.
Was? Was meinst du?
Man sollte öfter Orangenmarmelade essen.
Es klingelte. Die Zugehfrau brachte ihre sechzehnjährige Tochter mit, die ihr helfen wollte, das Wohnzimmer festlich zu gestalten. Kurz danach kam ein Florist mit einem Riesenstrauß Rosen von Viktor und Klara. Gert zählte die Blumen und las die Karte. Die Kinder, sagte er, haben sich ins Zeug gelegt. Das hat was gekostet.
Deine Tochter wird heute Mittag da sein, Gert, mit ihrer Familie. Wie heißt deine Enkelin?
Ist das nicht unsere Enkelin? Frau Gerlach, du solltest auf deine Sprache achten. Und dich anziehen. Wir erlauben uns heute keine Schlampigkeit.
Und alles ging seinen Weg.
Der Chrysler der Tochter mit Familie quietschte auf dem Kies. Nora umarmte ihre Eltern, die Enkelin plapperte fröhlich, der Schwiegersohn holte eine Kiste Wein aus dem Kofferraum. Nach einem frugalen Mittagessen machten beide Gerlachs eine Siesta, während die jüngere Generation sich die Beine vertrat und Boule spielte. Der Schwiegersohn beteiligte sich dem Familienfrieden zuliebe, er hasste das Boule-Spielen, schielte auf seinen iPod und rechnete aus: In vierundzwanzig Stunden bin ich zu Hause und vor dem Computer, solange halte ich Boules und Gerlachs aus. Henrietta und Gert versanken im Mittagsschlaf: Kraft schöpfen, Gert, damit wir heute Abend in höchster Form sind. Sie lagen krumm unter dem Laken und schliefen ein, Henriettas Bauch an Gerts Rücken, ihre Knie in seinen Kniekehlen, ihr Kopf an seinem Hals. Sie trugen nur ihre Unterwäsche. Als Gert sich im Schlaf umdrehte, erwachte Henrietta verängstigt aus einem bösen Traum, sie hatte bis zum Hals im Schnee gelegen und versucht, noch tiefer zu sinken, um dem Angriff eines Stiers zu entkommen, der schnurstracks in ihre Richtung galoppierte. Sie erinnerte sich, dass das Sternzeichen ihres Mannes der Stier war. Seine Schultern ragten aus dem Betttuch hervor, bräunlich, stark, eine dunkle Warze am linken Oberarm. Ihr Mund an der Warze, atmete sie ruhiger, labte sich an Visionen. Dieser Tag war ein Tag der Gnade, beide strotzten vor Gesundheit, und ihre Liebe zu diesem Mann erfüllte Raum und Zeit, Erde und Himmel, was für ein Glück es gewesen war, diesen Mann für sich zu gewinnen, diesen Mann, dessen winzige Fehler ihr gemeinsames Leben so gewürzt hatten. Keine ihrer damaligen Freundinnen konnte sich eines besseren Ehemanns rühmen, einige waren jetzt schon Witwen oder geschieden, keine so glücklich wie sie. Und sie rutschte zu ihm, presste sich nackt an ihn, keine junge Nackte, na und, eine alte verliebte Nackte auf Gert Gerlach, ihrem einzigen und ewigen Mann, der, aus dem Schlaf geweckt, erschrak, dessen vom Alter verschandelter Kopf sich unter ihren Händen wieder mit dunklen Locken füllte, Locken wie auf Viktors Haupt, dessen Arm- und Beinmuskeln ein gesundes Athletenspiel tanzten, und in der Tat zog Henrietta ihrem Gatten die Hose herunter, schob ihren grauen Kopf unter das Unterhemd und lutschte an seinem Bauch und an seinem Schwanz, der glänzte und sich nicht rührte, es kitzelt, meine Dame, Sie sollten sich den Kopf rasieren, und Henrietta sabberte an ihrem Traum herum und ging, ernüchtert, besiegt ins Bad, und die Hand auf ihr Geschlecht gepresst, weinte sie. Sie hatte den Geschmack von Urin im Mund. Den Kopf in den Gardinen, schaute sie in den Garten hinunter. Die Enkelin spielte Boule mit ihren Eltern. Inkognito jagte hinter den Kugeln her und störte. Henrietta nahm eine und warf sie an den Kopf von Fischer, ließ Gert und ihre Kinder stehen, die den blutenden Fischer blöd anguckten. Sie warf die Kugel an die Füße von Viktor, folgte ihr bis zu ihm, der sie in die Arme nahm und in den Wagen stieg, einfach so. Durch den
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