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Der Gesang der Haut - Roman

Der Gesang der Haut - Roman

Titel: Der Gesang der Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Picus-Verlag
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Gardinenstoff und durch den Tränenvorhang konnte sie sehen, dass der Tag immer schöner wurde und dass nur ihre eigene eckige Welt sich im prallen und runden Tag querstellte. Sie rief sich zur Vernunft; und sie hatte solche Sehnsucht nach Glück, einen solchen Willen selbst nach hart erarbeitetem Glück, dass es ihr gelang, immer noch auf Bäume und Rhododendron starrend, alle Störungen ihres Lebens einen Augenblick zu beseitigen und, wie ein Huhn, dem man den Kopf abgehackt hat, noch weiterlaufen kann, gelang es ihr, Hand in Hand mit Viktor noch einen Augenblick lang als glückliche Henrietta zu gehen.

27
    M oira schwenkte die Kamera auf Klaras und Florians Vorbereitungen und konnte einen hübschen Lichtkontrast bewerkstelligen.
    Im noch leeren Salon stand Klara mitten in einer Garbe abendlicher Sonne, die überschwänglich in das Zimmer eingebrochen war, ihr Gesicht und ihre Arme beleuchtete und in ihr goldenes Kleid eindrang. Was für ein perfektes Gesicht, ein Schönheitsideal, ein eklatantes Lächeln, Vergissmeinnicht-Augen, ein Modell, wie für eine Glanzbroschüre im Wartezimmer zurechtgemacht. Eine nervöse Schönheit allerdings, die zur Übung Koloraturen sang und erst den Gesang unterbrach, als Florian von seinem frisch gestimmten Klavier abließ und seine Lippen auf ihren kussechten Lippenstift legte. Lass uns aufhören, die ersten Gäste kommen doch bald. Die Enkelin der Gerlachs stürzte ins Zimmer: Bist du ein Engel? Moira lächelte hinter der Kamera, nahm die Bewegung von Klara wahr, die ihren Schweiß in der Achsel spürte. Sie fuhr mit der Hand hinein und roch an ihren Fingern. Warum habe ich mich nicht erst hier umgezogen? Warum bei Viktor schon? Halt noch nicht professionell. Florian beobachtete sie und sagte, ich mag deinen Geruch, mehr als jedes blöde Spray, jedes teure Parfum, alles sinnlich und natürlich. Auch Viktor mochte ihren Geruch, Viktor, der als erster Gast in seinem anthrazitfarbenen Anzug auftauchte, und unter dem weißen Hemd und der Jacke klaffte ein Abgrund von Angst, ein Tümpel von bösen Vorahnungen, so wie damals, als er mit seinem Vater in eine trockene Schlucht hinuntergeklettert war und sich vor den in dem Gebüsch raschelnden Tieren gefürchtet hatte, in der Tat beinahe auf eine Schlange getreten war, oder so wie damals, als sein Großvater ihn, den Zehnjährigen, gegen die Wand geschoben hatte und dessen Krawatte an seiner Nase flatterte, der Großvater, der ihn mit beiden Krallen an den Schultern festhielt und drohte: Wenn du der Oma sagst, kleiner Spion, dass ich heute bei der anderen war, wird ein großes Unglück passieren, etwas Schreckliches, von dem du keine Ahnung hast, wie schlimm es sein wird. Er näherte sich Klara und lächelte verkrampft, grüßte Florian, ohne ihm in die Augen zu sehen, und auch Florian guckte weg. Viktor gelang aber eine Frage zu der Probe. Na, seid ihr soweit? Und ging, ohne eine Antwort vernommen zu haben. Schließlich entwickelten sich die Dinge so, wie Klara es prophezeit hatte: Ihre Beziehung löste sich von selbst auf, warum also noch ein Drama? Dramen gehörten zum Theater. Im echten, realen Leben dürften sich die aufgeblähten Gefühle von selbst zersetzen. Es würde doch nicht weh tun, man würde kaum etwas fühlen. Außerdem erblickte er jetzt Moira, die mit ihrer Kamera auf der Jagd nach Bildern oder nach ihm umherlief, die Kamera als vage Tarnung, denn sie tat nicht mal so, als filmte sie wirklich. Ich habe, sagte sie en passant, Gerlach versprochen, den Tag festzuhalten, den Abend in seinem Glanz mit diesem Instrument hier zu würdigen.
    Sie trug ein zitronengelbes afrikanisches Kleid mit einem schwarzen Blumenmuster, ein langes und enges Kleid, das ihren Hintern betonte, der Viktor faszinierte und den er bis zu ihrem Verschwinden fixierte, als würde dieser wunderbare Hintern ihn aus seinen Sorgen zu sonnigeren und freieren Horizonten lotsen. Moira mit ihrer Kamera erblickte sowieso alle von Weitem, und es schien, als dirigierte sie ohne Regieanweisungen alle Menschen, die nach und nach eintrafen, aber vielleicht sah es nur so aus, weil die Besucher gefilmt werden wollten und sich deshalb nie weit aus ihrem Wirkungskreis entfernten.
    Bald trudelten alle Gäste ein, viele Ärzte, darunter Doktor Hettsche, der Viktor freundschaftlich die Hand reichte, Golfspieler, Nachbarn, ehemalige Patienten, entfernte Verwandte, sie tranken in noch gedämpfter Stimmung das erste Glas Sekt auf der Terrasse, manche setzten sich lieber eine

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