Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
hätte dich zur Schlampe gemacht, wenn nicht Donna Elvira eingegriffen hätte. Das weiß Masetto aber nicht. Er ist der Meinung, dass du ihn betrogen hast.«
Kilian hörte ein gepresstes Aufatmen hinter sich, als wolle jemand seine aufsteigende Wut unterdrücken. So war es auch. Batricio kämpfte mit sich. Er schien sich die gestrige Probe in Erinnerung zu rufen, als Raimondi Aminta in der gemeinsamen Arie
Là ci darem la mano
vor aller Augen umwarb. Die Garibaldi hatte ihn gewarnt. Sie kannte Raimondis Talent zur Genüge.
Jetzt wusste Batricio, an wen er seine Zukunft verloren hatte. Kilian musste aufpassen; die Sache konnte eskalieren.
Auch Raimondi bemerkte die Unruhe im Zuschauerraum. Er handelte, wie Kilian es nicht erwartet hatte. Er schlang die Arme um Aminta, liebkoste sie, reizte sowohl Masetto als auch Batricio bis aufs Blut.
Raimondi trieb es auf die Spitze, säuselte der Zerlina ins Ohr, laut genug, damit es auch von Batricio verstanden wurde. »Dein Verhalten ist einer schönen Frau angemessen. Du suchst dir den besten Mann aus, den du bekommen kannst. Moral existiert für dich nicht, nur der Erfolg zählt. Du und
Don Giovanni
, ihr seid aus einem Holz geschnitzt. Und so wirst du deinen Masetto noch einmal verführen. Jetzt und sooft du es willst. Er ist ein Narr, der an die Redlichkeit glaubt. Daher ist er schwach, deiner nicht würdig. Du spielst mit ihm, so wie es dir beliebt, du genießt deine Macht, die du über ihn hast. Denn du weißt, dass du nicht alleine bleiben wirst. Der Don ist nur wegen dir gekommen, er will dich, mit aller Kraft. Und du ihn. Du weißt, dass er dich in Welten führen wird, die dir ohne ihn verschlossen bleiben.«
Das war zu viel für Batricio. Er hastete an Kilian vorbei, ohne dass er ihn greifen konnte. Mit einem mutigen Satz schwang er sich auf die Bühne, Kilian hinterher. Raimondi blieb ruhig, der drohenden Aggression kühl ins Auge blickend. Obwohl Batricio nicht gerade klein war, konnte er sich doch kaum mit der kräftigen Statur Raimondis messen. Dennoch, er packte Aminta am Arm, wollte sie Raimondi entreißen. Sie wehrte sich.
Kilian ging dazwischen. »Ich denke, das reicht«, sagte er bestimmt und zog Batricio zurück.
Dann wandte er sich Raimondi zu: »Musste das sein?«
Raimondi antwortete lakonisch: »Wenn Sie Ihren Job besser machen würden, dann wäre er niemals bis auf die Bühne gekommen. Wenn sich das noch einmal wiederholt, sehe ich keinen Grund, wieso Sie länger meinen Beschützer spielen sollten.«
Das war eine Drohung, eindeutig. Kilian dachte kurz darüber nach, ob er auf diese Unverschämtheit antworten sollte. Schließlich ließ er es. Das hätte nur eine neue Schlagzeile gegeben. Deshalb brachte er Batricio erst einmal vor die Tür, ins Foyer.
»Sind Sie wieder okay?«, fragte er ihn.
Batricio befreite sich aus Kilians Griff. »Dieses Schwein. Aber so schnell werde ich nicht aufgeben.« Obwohl Kilian genau wusste, worum es ging, fragte er:
»Wieso sind Sie eigentlich so ausgerastet? Raimondi hat doch nur gespielt, der Zerlina Anweisungen gegeben.«
Er grinste ihn verächtlich an. »Sie träumen wohl. Das war alles bitterer Ernst. Isabella Garibaldi hatte mich gewarnt. Sie sagte, dass er nichts umsonst tut. Sein ehrenhaftes Engagement zur Rettung der Produktion – alles nur ein Trick. Raimondi bekäme in der Regel alles, was er will. Und ich Idiot wollte es nicht wahrhaben. Er ist nur wegen ihr hier. Er will sie, um mit ihr den Erfolg zu erringen, den er selbst nicht mehr hat. Aber darauf kann er lange warten. Ich habe einen Vertrag mit ihr. Wenn sie ihn bricht, will keiner mehr mit ihr etwas zu tun haben. Dafür werde ich sorgen!«
»Ich glaube, es ist besser, wenn Sie sich ein wenig beruhigen«, sagte Kilian. »Danach können wir gerne weitersprechen.«
Batricio schwieg und ging ohne ein weiteres Wort davon.
Kilian begab sich zurück auf seinen Platz, sah, wie Zerlina mit dem ahnungslosen Masetto Katz und Maus spielte und wie Raimondi es genoss.
Seine Art und sein Auftreten begannen Kilian allmählich zu missfallen. In der Pause würde er ihn mit dem getürkten Anschlag an der Semperoper konfrontieren. Er war gespannt, ob Raimondi dann auch noch seine Überheblichkeit beibehielt.
Der Rest der Probe verlief ohne nennenswerte Zwischenfälle. Trotz Kilians widerstrebender Einstellung Raimondi gegenüber musste er sich eingestehen, dass Raimondi den Figuren auf der Bühne eine verblüffende Überzeugungskraft verlieh. Je
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