Der Gesang des Satyrn
ehren.
Hohles Geschwätz ... alles an dir ist nur hohles Geschwätz.
Neaira sah den Augenblick gekommen, ihre Vergeltung in die Tat umzusetzen. Sie war jung, sie war ehrgeizig und sich ihrer Stellung nicht sicher wie die trägen Hetären, die vom Leben gesättigt auf ihren Klinen ruhten und den Männern schmeichelnd nach dem Mund redeten; und Neaira hatte eines gelernt – nur mit Mut kam man weiter. Lächelnd wandte sie sich zu Philostratos um. „Dann werde ich auch zum Tempel gehen und mir Athene im neuen Gewand anschauen. Doch ich glaube nicht, dass sie schöner ist als ich – eure Pallas Athene!“ In ihrer Stimme hatte leichter Spott mitgeklungen. All die geschminkten Gesichter, die sie bislang nicht beachtet hatten, wandten sich ihr verblüfft zu, und die Gespräche verstummten augenblicklich.
Philostratos bemühte sich, ihrem Blick auszuweichen.
Neaira ließ sich vom Schweigen der Männer und den verächtlichen Lauten der Hetären nicht beirren. Ihr trägen Milchkühe und faulen Ochsen! Ihr habt vergessen, was Leidenschaft bedeutet. Aber ich werde euch eure müden Köpfe ordentlich verdrehen.
Langsam erhob sie sich von der Kline, streifte mit einer anmutigen Bewegung das golddurchwirkte Gewand von den Schultern und breitete die Arme aus, damit jeder der Gäste ihren Körper sehen konnte. Neaira zeigte keine Scham – mit gekonnter Eleganz und Selbstsicherheit bot sie ihnen ihren Körper dar; sie zeigte ihnen ihren Leib, wie andere Frauen ein schönes Gewand vorführten, und drehte sich dabei langsam im Kreis. „Wer von euch Herren würde es nicht vorziehen meinen Körper zu schmücken, da ich doch eine Tochter der Aphrodite bin, jener Göttin, der selbst Paris den Vorzug vor Athene gab. Sie versprach ihm die schönste Frau, während Athene ihm Weisheit anbot.
Was würdet ihr wohl wählen, ihr Herren?“
Es waren die Hetären, die zu schimpfen begannen, scheinbar empört ihre Blicke abwandten und Neaira eine gewöhnliche Porne nannten. „Simos sollte sich schämen, eine solche Frau auf ein Symposion zu bringen“, hörte sie die Älteste, deren beste Zeit bald vorüber wäre, ihrem Begleiter zuraunen.
„Lege auch du dein Gewand ab und stellte dich dem Vergleich mit mir. Beweise mir, dass ich nicht die Schönste bin!“, rief Neaira ihr mitleidlos zu, woraufhin die Hetäre verstummte. Hier und da war gehässiges Gekicher von den anderen Frauen zu hören.
Philostratos wandte zu Neairas Genugtuung ebenso wie die anderen seinen Blick nicht mehr von ihr ab. Du bist ein scheinheiliger Dummkopf, Philostratos. Einst habe ich dich bewundert, nun verachte ich dich. Von anderer Seite kam ein Hüsteln. Langsam wurde Neaira nervös, auch wenn sie es nicht zeigte. Einmal hatte Simos sie aus einer Lage befreit, in der sie einen hohen Einsatz gebracht hatte. Es hatte sich letztendlich als richtig erwiesen, etwas zu riskieren – doch jetzt hielt vor allem Simos die Luft an. Er würde ihr dieses Mal nicht zur Hilfe kommen. Diese Schlacht würde Neaira allein gewinnen müssen – oder verlieren ... vielleicht sogar Simos und ihre Hoffnung auf Freiheit. Neaira hatte die klugen Herren mit ihren eigenen Waffen geschlagen – konnten sie leugnen, was sie gesagt hatte? Hatte nicht sogar Paris die Schönheit der Weisheit vorgezogen und Athene damit verschmäht?
Nach einer ihr endlos erscheinenden Zeit erhob sich endlich einer der älteren Männer mit einem amüsierten Lächeln im Gesicht und rief: „Ich, schöne Neaira, du Tochter der Aphrodite, die du nicht nur schön, sondern auch klug bist! Ich würde Athene ihr Gewand höchstpersönlich fortnehmen, um es dir zu schenken!“
Zuerst tuschelten vor allem die Frauen. Neairas Arme wurden bereits taub, so angestrengt war sie bemüht ihren Leib unter Spannung zu halten und ihn vorteilhaft zu präsentieren. Da sprangen auf einmal weitere der Herren auf und boten sich an Neaira einzukleiden, bis sich alle gegenseitig in ihren Angeboten übertrafen. Schließlich schwiegen die Hetären. Wollten sie die Gunst der Männer nicht verlieren, mussten sie ihnen zustimmen. Auch Philostratos presste die Lippen zusammen und schwieg.
Neaira wandte ihm herausfordernd ihren nackten Leib zu.
„Es scheint, als würdest du morgen allein mit der Göttin sein. Wer weiß ... vielleicht schenkt Athene dir ihre Gunst!
Ihre steinerne Liebe mag dich wärmen, wenn sie es vermag.“
Philostratos klappte einmal den Mund auf und wieder zu. Jetzt lachten alle über ihre Frechheit. Sie kannten
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