Der Gesang des Wasserfalls
»Ich kann es nicht glauben. Und du scheinst das alles seelenruhig mitzumachen. Es sieht beinahe so aus, als hätte die CIA das alles still und heimlich organisiert.«
»Du übertreibst, Madi. Der Druck für Veränderungen hat sich hier seit langer Zeit aufgebaut.«
Madi wirbelte zu Connor herum, kochend vor Zorn. »Du redest, als wäre das alles wunderbar.«
»Madi«, flehte Connor, »bitte beruhige dich.« Er stand auf, um zu ihr zu gehen, aber sie hob abwehrend die Hand.
»Fass mich nicht an, Connor. Ich bin so wütend, dass ich dir was an den Kopf werfen könnte. Kannst du denn nicht verstehen, wie falsch es ist, dass die Zukunft von Spionen und korrupten Beamten ausgehandelt wird, die mit anderen Drahtziehern an einem Tisch sitzen? Und das alles unter dem Deckmantel der Redlichkeit und Anständigkeit. Es macht mich krank.«
Connor versuchte, sie zu besänftigen. »Man muss Teil des Systems sein, um es zu ändern, Madi. Das ist der Lauf der Welt, Liebling. Selbst wenn man idealistisch ist wie Xavier, muss man den Strom in die eigene Richtung lenken. Sich wie ein Bambusrohr biegen, aber stark bleiben.«
»Aber es ist ein Verrat an den Indios.«
»So mag es für dich aussehen. Doch später werden sie vielleicht erkennen, dass er viel für sie erreicht hat. Es ist eine Frage der Wahrnehmung.«
Madi sank in einen Sessel und verbarg ihr Gesicht in den Händen.
Connor streckte die Hand aus und berührte sie leicht an der Schulter.
Sie blickte auf, schenkte ihm ein schwaches Lächeln. »Es ist schwer zu verdauen für mich. Ich hatte in Xavier den Retter dieses Landes gesehen. Warum ist er nicht stark geblieben und hat seinen Standpunkt allein behauptet?«
»Weil er nicht gewinnen kann, wenn er allein steht, Liebste. Darum. Das System schließt diejenigen aus, die sich gegen es stellen.«
Madi atmete tief durch. »Wann wird diese Konferenz öffentlich bekannt gegeben?«
»Morgen, soviel ich weiß. Es wird eine gemeinsame Erklärung von Olivera, Xavier und dem Premierminister geben. Im
Pessaro
.«
»Im
Pessaro
«, wiederholte sie resigniert. »Das ist der Gipfel der Ironie. Jetzt weiß ich, warum Xavier die Kundgebung abgesagt hat. Das hatte nichts mit Bacchus' Tod zu tun. Die Sache mit der Konferenz war längst beschlossen worden.«
»Madi, sei doch nicht so wütend. All diese Leute, die nach
New Spirit
kommen, sind sich als einzelne bewusst, dass sie versuchen können, die Dinge zu beeinflussen. Also wird jeder seine eigenen Interessen vorantreiben, und man wird letztlich zu einem Konsens kommen. Gibt man hier ein wenig nach, gewinnt man dort etwas dazu. So läuft das nun mal, Madi.«
»Da bin ich anderer Ansicht. Genau das ist der Grund, warum es immer noch aufrechte, ehrliche Idealisten gibt, die dafür kämpfen, die Welt zu einem besseren, sichereren, anständigeren Ort zu machen. Die Art von Leuten, denen am Wohlergehen kleiner Goldfrösche am Rande eines Wasserfalls liegt.« Ihre Stimme war lauter geworden.
So sehr es auch schmerzte, Madi verstand jetzt besser, warum Xavier sich so entschieden hatte. In einem plötzlichen Erkenntnisblitz sah sie, dass auch sie eine Entwicklung durchgemacht hatte, nur war die ihre ohne Kompromisse gewesen.
»Ich brauche ein wenig Zeit für mich. Ich werde ein bisschen herumfahren. Vielleicht später noch bei Matthew vorbeischauen. Warte nicht auf mich.« Sie sprach mit ruhiger, resignierter Stimme, stand auf, um ihre Handtasche zu holen, und griff nach Connors Wagenschlüsseln.
»Ich werde dich nicht aufhalten, Madi. Mir ist klar, dass dies nicht das glückliche Ende ist, das du vor Augen hattest. Aber nichts im Leben ist vorhersehbar. Die Umstände ändern sich, und man muss sich an sie anpassen.« Er klang müde.
Madi fuhr zur Mole hinunter. Sie parkte den Wagen und ging hinüber zu dem niedrigen Steinwall, der den Atlantischen Ozean zurückhalten sollte. Weiter unten lehnte ein eng umschlungenes Pärchen am Wall. Es wehte eine frische Brise, die aber trotzdem den Geruch von Schlick, Salz und vermodernder Vegetation mit sich trug. Da Flut war, hörte sie das Wasser sanft gegen die Mole schwappen.
Madi schaute über die Mole, konnte aber nicht viel erkennen. Sie hatte immer mit Lester bei Ebbe herkommen wollen, um nach alten Flaschen zu buddeln, die hier seit der Kolonialzeit im schwarzblauen Schlick steckten. Lester verkaufte die seltsam geformten blauen, grünen, schwarzen und durchsichtigen Flaschen an den Souvenirladen im Pessaro. Jetzt würde sie eine
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