Der Gesang des Wasserfalls
zum anderen Ufer schauen, wo ein kleiner Bach ins Landesinnere verlief; manchmal lag vor Tagesanbruch ein langer, geisterhafter weißer Nebelstreifen darüber, folgte den Windungen des Baches und breitete sich sanft über den Baumwipfeln aus, wie ein großer Geist, der von der Ausgelassenheit der Nacht so erschöpft war, dass man ihn noch schlafend antraf, wo er sich doch schon im ersten grauen Morgenlicht hätte verflüchtigen müssen …
Ich hatte mir einen Tisch und Bänke aus geraden, wohlriechenden Schösslingen gebaut, die einen köstlichen Geruch verströmten, als ich die äußere Rinde abschälte und das cremige, goldfarbene Holz im Inneren freilegte. Kein alter, gotischer Bankettsaal war je würdevoller und lieblicher als meiner …
Nachts verlieh der Mond dem Lager den Anschein tiefen Geheimnisses, und die Säulen und Bögen, die sich in der Dunkelheit verloren, schienen in die Unendlichkeit zu führen. Durch die Bäume fing der Kurupung das Mondlicht ein und brach es in Millionen glitzernde Splitter. In meinem Speisesaal bildeten die einzelnen schmalen Mondstrahlen, die die Blätter in jungfräuliches Silber tauchten, schräge Pfade, damit die Feen in die grünblättrigen Baumkronen herabsteigen konnten.
Nie werde ich irgendeinen Ort mehr lieben als mein Königreich auf dem Terry Hill. Ich hoffe, dass ich eines Tages zurückkehren werde. Dann werde ich mir von den Indianern ein Haus aus Waldholz bauen lassen, mit einem Dach aus Palmblättern. Ich werde Orchideen und eigenartige blühende Schlingpflanzen sammeln und sie vom duftenden Dach herabhängen lassen. Auf einem Hügel in der Nähe werde ich einen Garten für Gemüse und Obstbäume anlegen. Ich werde einen indianischen Jäger haben und viele Hennen und Küken und dort in vollkommener Zufriedenheit und in Frieden leben.«
»Bravo, Gwen!«, dachte Madi, die schon ganz gefangengenommen war von ihrer Beschreibung. »Ob sie wohl je zurückgekehrt ist und ihren Traum verwirklicht hat?«
Gebannt blätterte Madi zum Anfang des Buches zurück und begann zu lesen, gelegentlich griff sie dabei nach dem Glas mit eisgekühlter Zitronenlimonade, das auf einem Tisch neben der Hängematte stand.
Sie stellte gerade, ohne von ihrem Buch aufzuschauen, das Glas zurück auf den Tisch, als sie ihre erste große Überraschung erlebte. Die Überraschung war in der Tat so groß, dass Madi das Glas umstieß. Die Limonade lief über den Tisch, und Madi kletterte rasch aus der Hängematte und fing das Glas auf, bevor es herunterfallen und zerbrechen konnte.
»Also, das gibt's doch nicht …«, rief Madi laut, rannte nach drinnen zum Telefon und wählte Matthews Büronummer.
»Matthew Wright.«
»Matt, hier ist Madi. Rat mal, was passiert ist.«
»Die
Sea Eagles
haben das Finale gewonnen.«
»Blödsinn, Matt. Nein, ich habe entdeckt, dass Gwen Australierin ist.«
»Welche Gwen?«
»Gwen Richardson. Gwen mit der Pistole, die Diamantenjägerin im guyanischen Dschungel.«
»Ach, wirklich.«
»Ja. Aus Ballarat. Weil ihr Buch in England erschienen ist, dachte ich, sie sei Engländerin. Ihr Vater war Schotte und wanderte aus, um auf den Goldfeldern von Victoria zu arbeiten. Wie findest du das?«
Schweigen am anderen Ende der Leitung.
»Matt …?«
»Ja. Ich hab überlegt, was ich dazu sagen soll.«
»Oh.« Madi war spürbar enttäuscht. »Matt, du weißt, dass ich immer diese Bücher über Abenteurerinnen gelesen habe. Und jetzt habe ich eine gefunden, die aus einer Gegend nicht weit von uns stammt und die genau hier in Guyana außergewöhnliche Dinge erlebt hat. Das hat mich wirklich inspiriert, Matt.«
»Um was zu tun?« fragte er mit verhaltener Stimme.
»Na, um in Guyana ein bisschen auf Entdeckungsreise zu gehen. Alle sagen, ich müsste unbedingt ins Landesinnere.«
»Ja, schon, aber sie meinen damit einen Ausflug oder so was, Madi. Nicht auf eigene Faust mit Tropenhelm und Pistole.«
»Matt, hör auf, mir das auszureden. Ich finde es sehr aufregend, und ich werde dich mit jeder Menge Geschichten über Gwens Abenteuer langweilen. Wiedersehen.«
»Pack den Rucksack nicht, bevor ich nach Hause komme. Aber lies weiter. Vielleicht findet sie ja ein schlimmes Ende. Und geh nicht in die Sonne. Bis nachher, Schwesterchen.« Er legte auf.
Auf dem Empfang des amerikanischen Botschafters brachte Madi den erforderlichen Smalltalk mit ihren amerikanischen Gastgebern hinter sich und gesellte sich dann auf der üblichen Runde durch den Raum zu einer Gruppe, bei
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